949 Tage sind vergangen seit der VfB Stuttgart am 30. Dezember 2019 etwas überraschend die Verpflichtung des bis dahin noch weitgehend unbekannten Pellegrino Matarazzo als neuem Cheftrainer verkündete. Für die Verhältnisse der Schwaben eine halbe Ewigkeit. Länger hielt sich auf ihrer Bank zuletzt nur Bruno Labbadia - bei ihm waren es zwischen Dezember 2010 und August 2013 sogar 987 Tage. Doch Matarazzo dürfte ihn schon sehr bald überflügeln.
Für den Italo-Amerikaner ist es die vierte Saison in Stuttgart. Nach dem erfolgreichen Pflichtspiel-Start im DFB-Pokal bei Dynamo Dresden (1:0) geht es am Sonntag (15.30 Uhr/DAZN) gegen RB Leipzig auch in der Fußball-Bundesliga wieder los - und sowohl für die Mannschaft als auch den Coach des VfB darum, den nächsten Schritt zu machen. Dem Aufstieg in der ersten und einem starken neunten Platz in der zweiten folgte die Last-Minute-Rettung in der dritten Spielzeit. Auch in der neuen Saison »heißt unser Ziel ganz klar Klassenerhalt«, betonte Matarazzo am Freitag nochmal. Ganz sicher hätte er aber nichts dagegen, wenn es diesmal etwas souveräner erreicht wird als zuletzt.
»Eine gewisse Schärfe, ein Bewusstsein, dass jeder Punkt und jedes Tor wichtig ist«, forderte der 44-Jährige von seinem Team. In der vergangenen Saison, die in weiten Teilen ein Drama war und mit dem 2:1 gegen den 1. FC Köln am letzten Spieltag noch ihr Happy End hatte, fehlte den Stuttgartern diese letzte Gier zu oft.
Sicher: Der VfB hatte viele verletzungs- oder krankheitsbedingte Ausfällen zu verkraften, Leistungsträger wie Sasa Kalajdzic oder Silas Katompa Mvumpa fehlten monatelang. Sowohl offensiv als auch defensiv hat Matarazzo aber durchaus Steigerungspotenzial erkannt. Vorne mit mehr Tempo und Zielstrebigkeit in die sich öffnenden Räume zu stoßen und hinten eine bessere Abstimmung zu finden, gehören zu seinen Aufträgen an die Spieler für die bevorstehenden Aufgaben.
Die gegen Pokalsieger und Champions-League-Teilnehmer Leipzig wird direkt knifflig. Torjäger Kalajdzic steht nach Sprunggelenkproblemen immerhin wieder zur Verfügung. Für wie viele Minuten, wird man sehen. Auch der neu geholte Stürmer Luca Pfeiffer sei gleich eine Option, erklärte Matarazzo. Darko Churlinov und Pascal Stenzel (beide Rückenprobleme) wackeln, Borna Sosa (Trainingsrückstand) wird noch fehlen. Die Leipziger seien »extrem variabel«, warnte der VfB-Coach. Da gilt es für seine Mannschaft, die richtige Balance zu finden.
Doch nicht nur die, sondern auch sich selbst will Matarazzo weiter entwickeln. Seine Herangehensweise habe er bereits etwas geändert, erklärte er kürzlich »Stuttgarter Nachrichten« und »Stuttgarter Zeitung«. Statt auf eine flache Hierarchie setze er in seinem Team nun mehr auf eine »klare Führungsachse auf und neben dem Platz«.
In die Schublade des »ruhigen Typen« oder »Mathematikers« lässt sich Matarazzo wegen seines einstigen Studiums auch nicht mehr so gerne packen. »Wer mich kennt, weiß, dass in mir sehr viele Emotionen stecken«, betonte er unlängst. Sein Jubel über das rettende Tor gegen Köln im Mai, als er bis zur Eckfahne sprintete, hat gezeigt, dass Matarazzo auch öffentlich inzwischen mehr aus sich herausgeht. Sein Selbstbewusstsein ist - sicher auch begünstigt durch Sportdirektor Sven Mislintat, der sich stets wie ein Schutzschild vor ihn stellt - gestiegen. Nun wollen der VfB und sein Trainer weiter wachsen.
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