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Städte wachsen dank ukrainischer Flüchtlinge: Aufgaben auch

Durch den Zuzug ukrainischer Flüchtlinge wachsen die Städte. Das ist herausfordernd - etwa für den Wohnungsmarkt. Doch die Kommunen sehen auch Chancen durch die Neuankömmlinge. Wenn sie denn blieben.

Ukraine-Fahne
Eine kleine ukrainische Fahne steht auf einem Tisch. Foto: Frank Rumpenhorst
Eine kleine ukrainische Fahne steht auf einem Tisch.
Foto: Frank Rumpenhorst

Der Zuzug ukrainischer Flüchtlinge lässt Südweststädte wachsen und erhöht nach Angaben des Städtetags Baden-Württemberg vielerorts den Druck auf dem angespannten Wohnungsmarkt - inwiefern Kommunen profitieren, ist noch offen. Der Fachkräftemangel wird durch sie zunächst kaum behoben. Mangelnde Deutschkenntnisse sind nur ein Grund, ergab eine dpa-Nachfrage bei einigen Städten mit vielen zugezogenen Ukrainern. »Perspektivisch kann sich das allerdings noch ergeben«, so der Städtetag.

Mittlere Städte legen nach einer Studie des Immobiliendienstleisters Empirica Regio besonders zu. So kamen vor allem nach Baden-Baden schon gleich nach Kriegsbeginn viele Menschen. »Wir sind als Stadt im osteuropäischen Raum relativ bekannt«, sagt Bürgermeister Roland Kaiser (Grüne). Die Kurstadt im Schwarzwald hat seit zehn Monaten - bezogen auf die Einwohnerzahl - die zahlenmäßig höchste Belastung aller Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg. 2261 Flüchtlinge aus der Ukraine wurden registriert. 1700 Flüchtlinge sind derzeit da. Sie machen rund drei Prozent der 57.000-Einwohner-Stadt aus.

»Für uns ist das eine extrem große Herausforderung. Wir bewältigen es noch gut, sind aber an der Kapazitätsgrenze«, sagt Kaiser, der in der Kurstadt für Bildung, Soziales, Ordnung und Sicherheit zuständig ist. Er beobachtet eine große Solidarität in der Bevölkerung. Zwei Drittel der Ukraine-Flüchtlinge sind privat untergekommen, teils auch bei Leuten mit russischen Wurzeln. »Das Schwarz-Weiß-Denken zerbröselt vor Ort, es wird von allen Seiten geholfen.« Insgesamt leben über 1000 Russen oder russischstämmige Menschen in Baden-Baden.

Gerade russischsprachige Einwohner helfen auch in Pforzheim bei Wohnraum und Sprachvermittlung. Von den derzeit 1700 Ukrainern (1,3 Prozent der Bevölkerung) konnten viele privat unterkommen. »Eine Unterbringung ausschließlich in städtischen Unterkünften wäre nicht möglich gewesen«, so eine Stadtsprecherin. Mit Rat und Tat zur Seite stehen auch zahlreiche Initiativen vor Ort wie etwa der Verein »Ukrainer in Stuttgart« oder der Deutsch-Ukrainische Verein in Karlsruhe.

Städte und Gemeinden wollen eine Unterbringung in Großunterkünften vermeiden, sie mieten notfalls Hotels an und versuchen, Wohnungen über Raumteiler-Projekte wie in Karlsruhe, Esslingen oder Ulm zu akquirieren. Das stößt an Grenzen. »Stuttgart kann nicht mehr wie in der bisherigen Geschwindigkeit neue Platzkapazitäten erstellen«, so der Sprecher der Landeshauptstadt. Unter den rund 610.000 Einwohnern waren Ende des Jahres 9642 Ukrainer, gegenüber 1940 im Vorjahr.

Den größten Bevölkerungszuwachs seit den 1970er Jahren registriert Freiburg mit 231.807 Einwohnern vor allem wegen der 2500 ukrainischen Geflüchteten. »Die Dynamik dieses Bevölkerungszuwachses ist in der jüngeren Freiburger Geschichte einmalig«, so ein Sprecher. Ukrainer bilden nun die zweitstärkste ausländische Bevölkerungsgruppe in der Breisgaumetropole, hinter den Italienern.

Was deren berufliche Eingliederung angeht, warnt die Stadt Freiburg vor unrealistischen Erwartungen: Die meisten Geflüchteten zeigten großen Willen. Es müssten aber erst Voraussetzungen geschaffen werden wie Spracherwerb, Kinderbetreuung und Nachqualifizierungen.

Die wenigsten Ukraine-Flüchtlinge sprechen gut deutsch oder englisch, sagt Baden-Badens Bürgermeister Kaiser. »90 Prozent sind deshalb nicht sofort auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln.« Einige arbeiten aber bereits in der Gastronomie oder im Gesundheitsbereich. Pforzheim berichtet von ersten guten Erfahrungen mit ukrainischen Fachkräften in Kitas.

»Die Menschen kommen nicht zu uns, weil sie sich berufliche Perspektiven erhoffen, sondern weil sie geflohen sind«, sagt der Sprecher von Stuttgart. Sofern sie bleiben, sei die Integration in den Arbeitsmarkt eine Herausforderung der kommenden Jahre.

Schwierig ist die Betreuung und Beschulung der Kinder. 800 sind es allein in Freiburg, 700 in Baden-Baden. Da es kaum Kita-Plätze gibt, starten einige in die Schule »mit allenfalls rudimentären Deutschkenntnissen«, heißt es aus Freiburg. In Pforzheim hilft man mit Spielgruppen. Schulkinder lernen zunächst in Vorbereitungsklassen Deutsch. Ältere werden in Baden-Baden digital aus der Ukraine beschult - in der Hoffnung, dass der Krieg bald zu Ende ist.

»Fast alle wollen möglichst schnell zurück«, weiß Kaiser. Das macht die Lage für Städte so unkalkulierbar. Sie kämpfen mit Finanz- und Personalproblemen, bürokratischen Hürden und Planungsunsicherheiten. Baden-Baden würde sich schon über eine bessere Koordinierung bei der Verteilung von Kriegsverletzten von Bund und Land freuen. Kommunen müssten für diese Menschen zum Beispiel behindertengerechten Wohnraum und Betreuung organisieren oder Fahrten zu weit entfernten Kliniken.

Kommunen gehen bei den Kosten für ukrainische Flüchtlinge in Vorleistung und bekommen einen Teil zurück. Kaiser schätzt aber, dass allein Baden-Baden auf mehreren Millionen Euro sitzen bleibt. Insgesamt sind nach Angaben des baden-württembergischen Migrationsministeriums derzeit im Südwesten rund 150.000 Flüchtlinge aus der Ukraine.

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© dpa-infocom, dpa:230213-99-573832/4