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SOS Innenstädte: Kommunen wollen Citys wiederbeleben

Geschlossene Geschäfte wegen Corona - die Pandemie hat die Zukunft der Innenstädte ganz oben auf die politische Agenda gehoben. Die Ladenschließungen bedrohen die Kommunen in ihrem Kern. Städte wie Heidelberg stemmen sich aktiv gegen eine Erosion der Citys.

HEIDELBERG. Die deutschen Innenstädte sind in Not. 120 000 Geschäfte werden nach Schätzung der Handelsverbandes durch die Corona-Krise vom Markt verschwinden. Wie werden unsere Städte nach einem solchen Aderlass aussehen? Wie können leere Läden wieder belebt werden? Werden die Menschen weiter nur noch vom heimischen Sofa aus Waren bestellen? Diese Fragen treiben derzeit Kommunen in ganz Deutschland um.

»Es besteht große Sorge, dass man nach einer Pleitewelle die Innenstädte nicht mehr wiedererkennt«, sagt der Sprecher des Städte- und Gemeindebundes, Alexander Handschuh. In Heidelberg wollte man Geschäftsschließungen nicht länger untätig hinnehmen. Eine Task-Force von Unternehmern, Citymarketing, IHK und städtischen Experten wurde zusammengetrommelt. Ihr Ziel: Eine attraktive und zukunftsfähige Innenstadt sichern.

Dabei geht es der romantischen Stadt am Neckar noch gut. »Wir haben im Vergleich zu anderen Städten mit Großflächenläden nur wenig Leerstände«, sagt der Amtsleiter für Wirtschaftsförderung, Marc Massoth, der die Einsatzgruppe leitet. Die Leerstände beziffert er auf nur um die zehn.

Sein Mittel gegen verödende Innenstädte heißt »Nutzungsmischung« - und die lässt in Heidelberg wenig zu wünschen übrig: Gastronomie, Einzelhandel, Arztpraxen, Kitas und Schule sorgen schon jetzt in der zentralen Achse der Hauptstraße und ihren Seitengassen für Vielfalt. »Das zu halten, ist die Herausforderung«, erklärt Massoth. Ergänzend will er den vielen Forschungsinstituten und der Universität Raum geben, in dem sie wissenschaftliche Themen präsentieren. »Wir brauchen ein Stadterlebnis, nicht nur das Shoppen.«

Um die gähnende Leere in den Geschäften zu kaschieren, hat die Stadt Folien auf die Glasscheiben geklebt. Sie zeigen eine mögliche künftige Nutzung: etwa schicke Schuhe und Delikatessen. Solche Nutzungskombinationen findet auch Baden-Württembergs Städtetagspräsident Peter Kurz (SPD) zukunftsweisend und nennt gleich ein weiteres Beispiel: Café, Coworking und Haushaltswaren. Leerstände müssen vermieden werden, ist er überzeugt, weil diese den noch verbliebenen Geschäften schaden. »Es besteht die Gefahr eines Trading-Down-Effekts, wenn keine Nutzer oder auch Zwischennutzer gefunden werden.« In Einzelfällen könnten auch die Kommune oder das Land eventuelle Mietlücken überbrücken - aber nur als Startimpuls. In Nordrhein-Westfalen erfülle ein Innenstadtfonds diese Aufgabe.

Dreh- und Angelpunkt im Kampf gegen verwaiste Innenstädte sind neben der Online-Konkurrenz für den stationären Handel die Mieten. Deshalb setzt die Heidelberger Task-Force auf Gespräche mit Eigentümern über verringerte Mieten oder Stundungen. Dafür ist eine »Kümmererin« im Einsatz, die auch für eine gesunde Mischung sorgen und den fünften Burgerladen auf der Hauptstraße verhindern soll. Im vergangenen Jahr gelangen drei Vermittlungen zwischen Eigentümern und Nutzern - weit weniger als in normalen Jahren. Wirtschaftsförderer Massoth: »Jeder pokert in der jetzigen ungewissen Situation.«

Lange Leerstände sind den Kommunen ein Dorn im Auge, aber sie können wenig dagegen tun. Der Chef des Instituts für Urbanistik, Carsten Kühl, hält Corona für einen Anlass, rechtliche Regelungen zu schaffen, die verhindern, dass Immobilienfonds ihre Gebäude aus Spekulationsgründen lange leer stehen lassen. Hintergrund sei die Befürchtung der Fondsmanager, beim Abschluss gering dotierter Mietverträge am Kapitalmarkt abgewertet zu werden. Kommunen müssten den Zwangsverkauf einleiten können und das Vorkaufsrecht erhalten. »Da geht es um das Gemeinwohl«, sagt er. Kritiker geben zu bedenken, dass sich die wenigsten Kommunen den Kauf von Gewerbeimmobilien derzeit leisten könnten.

Die Gemeinden müssten den öffentlichen Raum neu verteilen, sagt Kühl, um ihre Kerne attraktiver zu gestalten. Das Ziel müsse sein: Mehr Grün, weniger Platz für Autos. Wolfgang Aichinger von der Denkfabrik Agora Verkehrswende erhebt noch radikalere Forderungen. Die Versiegelung in den Städten müsse zurückgenommen werden, um mehr Lebensqualität zu erreichen, und die heißen Sommer durch Grünanlagen und Zugang zu Wasser erträglicher zu machen. Auch die Außengastronomie könne davon profitieren. Dafür will der Raumplaner vor allem Parkhäusern und -plätzen den Garaus machen.

Städtetagschef und Mannheimer Oberbürgermeister Kurz beobachtet hierzulande eine »Mediterranisierung« des Lebens, also eine zunehmend südländische Lebensweise: Die Menschen verbrächten mehr Zeit im öffentlichen Raum. »Das verlangt den Kommunen ab, insbesondere Verkehrsflächen neu zu verteilen.« Mehr und attraktivere Plätze, Grünflächen und Möblierung könnten wieder mehr Menschen in die Citys locken. Kurz: »Da ist noch Luft nach oben.« (dpa)

Agora Verkehrswende

Deutscher Städte- und Gemeindebund

Positionspapier Handelsverband

Deutsches Institut für Urbanisitik