Es war der Abschied von einem Staatsmann und einem Ausnahme-Parlamentarier, und besonders emotional wurde es am Ende: In der evangelischen Stadtkirche erklang das bekannte Kirchenlied »O du fröhliche«, das Wolfgang Schäuble zuletzt an Heiligabend gesungen hatte.
»Er wollte uns nochmal ein gemeinsames Weihnachten schenken«, sagte Schäubles Tochter Christine Strobl am Freitag bei der Trauerfeier vor mehreren Hundert Gästen im badischen Offenburg. Das Sterben sei - wie so viele Male zuvor - mal wieder »abgeblasen« worden, fügte die ARD-Programmdirektorin mit bewegenden und persönlichen Worten hinzu.
Nach langer schwerer Krankheit war der CDU-Politiker am zweiten Weihnachtstag im Alter von 81 Jahren gestorben. Der Badener hatte wichtige politische Ämter inne: Er war Minister, CDU-Chef, Fraktionsvorsitzender und Präsident des Deutschen Bundestages. Niemand gehörte dem Parlament länger an als er.
Ihr Vater habe niemals aufgegeben, berichtete die Tochter neben dem aufgebahrten Sarg in dem Gotteshaus. Sie erinnerte an den starken Durchhaltewillen des Politikers und an das Attentat 1990, infolgedessen Schäuble auf einen Rollstuhl angewiesen war. Strobl gab rare Einblicke in das Leben des bekannten Politikers. Ihr Vater habe viele gesundheitliche Probleme gehabt, die nie in der Öffentlichkeit bekannt gewesen seien. »Papa, Du warst ein Gesamtkunstwerk«, sagte sie.
In der Kirche versammelten sich Spitzenpolitiker, unter ihnen waren Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD), der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, Kretschmanns Vorgänger Günther Oettinger und Erwin Teufel (beide CDU), Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) und der frühere luxemburgische Regierungschef und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
»Was für eine Lebensleistung. Was für ein politisches Leben«, sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Schäuble habe »Generationen von Abgeordneten unserer Fraktion eine Prägung mitgegeben, auch mir ganz persönlich. Ohne ihn stände ich heute nicht hier.« Weiter sagte der CDU-Chef: »Wir sind über die letzten drei Jahrzehnte immer engere Freunde geworden.« 16 der bisher 24 Regierungen des Landes habe sein ehemaliger Parteikollege erlebt, fast jeder dritten davon habe er selbst angehört. »Zwei hohe Staatsämter sind ihm versagt geblieben. Er hätte sie ohne Zweifel beide ausgefüllt.«
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) würdigte den Verstorbenen als Gestalter Europas, leidenschaftlichen Demokraten und großen Sohn des Landes. »Mit Wolfgang Schäuble verliert unser Land eine ganz große politische Persönlichkeit«, sagte Kretschmann. »Er dachte die Dinge durch und dachte sie vom Ende her.« Schäuble habe auch hart sein können, gleichzeitig aber Kompromisse gemacht, die er als eine wichtige Tugend der Demokratie und nicht als Schwäche angesehen habe.
Die evangelische Landesbischöfin von Baden, Heike Springhart, erinnerte daran, dass der tief im Schwarzwald verwurzelte Schäuble gleichzeitig ein weitsichtiger Europäer gewesen sei. »Wir vermissen seinen Rat und seine Weisheit.« Der gebürtige Freiburger war 1965 in die CDU eingetreten. 1972 errang er erstmals ein Mandat für den Bundestag, dem er über ein halbes Jahrhundert bis zu seinem Tod angehörte. Jedes Mal holte er in seinem Wahlkreis Offenburg das Direktmandat.
Vor der Kirche in der Offenburger Innenstadt versammelten sich Hunderte Menschen. Soldaten des Bundeswehr-Wachbataillons nahmen nach dem Gottesdienst in einer Ehrenformation Aufstellung. Das Heeresmusikkorps Koblenz spielte mehrere Musikstücke, darunter die deutsche Nationalhymne und den Trauermarsch aus dem Oratorium »Saul« von Georg Friedrich Händel. Der Trauerzug mit dem Sarg bewegte sich dann zum gut einen Kilometer entfernten Waldbachfriedhof. Auch die Öffentlichkeit durfte auf ausdrücklichen Wunsch Schäubles an der Beerdigung teilnehmen.
Das politische Berlin wird sich am 22. Januar von Schäuble verabschieden. An diesem Tag wird der Bundestag den von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angeordneten Trauerstaatsakt im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes ausrichten. Es werden die Spitzen des deutschen Staates - voran Steinmeier - und Hunderte Gäste aus dem In- und Ausland erwartet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will dem Trauerstaatsakt ebenfalls beiwohnen, wie der Élyséepalast in Paris bestätigte. Der Tag ist symbolträchtig: Am 22. Januar wird stets die deutsch-französische Freundschaft gefeiert.
© dpa-infocom, dpa:240105-99-502885/4