Gegen Stuttgarter Zentralismus kämpfen die Badener schon, seit es Baden-Württemberg gibt - nun sorgt das Landesjubiläum für Zoff. Die Landesvereinigung Baden in Europa ist empört über eine Veranstaltung zum Jubiläum am 27. April in Stuttgart - ohne Organisationen aus Baden. Es entstehe der Verdacht, dass die Landespolitik »zentralistisch, schwäbisch denkt und auf die Mitwirkung der Zivilgesellschaft des badischen Landesteils verzichtet«, heißt es in einer am Donnerstagabend verabschiedeten Resolution in Karlsruhe. Ein Landtagspressesprecher wies die Kritik zurück: Die Landtagsjubiläumsveranstaltung sei erst am 4. Mai - und da sind die Badener dabei.
Stein des Anstoßes ist die Veranstaltung »Wer wir sind! Wer sind wir?«. Dazu haben unter anderem der Landtag und die Landeszentrale für politische Bildung eingeladen - und der Schwäbische Heimatbund. Damit seien nur Stuttgarter und württembergische Organisationen beteiligt, monieren die Badener. »Es ist ein Skandal, dass 70 Jahre nach Gründung des Südweststaats die Landespolitik noch immer nicht begriffen hat, dass wir auf Augenhöhe behandelt werden wollen«, sagte der langjährige Baden-Vereinsvorsitzende Robert Mürb.
Ein Landtagssprecher wies die Kritik zurück: Die Veranstaltung habe nur mittelbaren Bezug zum Landesjubiläum und sei in dem Sinne keine Jubiläumsveranstaltung. Im Vordergrund stünden Fragen nach der Standortqualität Baden-Württembergs, Bildung, Bildungsgerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit, nach Identität, Diversität und Pluralismus.
Bei der eigentlichen Jubiläumsveranstaltung am 4. Mai seien Menschen aus beiden Landesteilen beteiligt, darunter Bülent Ceylan (Comedian aus Mannheim), die in Heidelberg geborene Kunstturnerin Elisabeth Seitz und der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD). Eine kleine Ausstellung zeige ebenfalls Motive aus dem ganzen Land und belege: Die Gründung des Südweststaates sei trotz aller Startprobleme eine Erfolgsgeschichte, so der Landtagssprecher.
Das sieht die Baden-Vereinigung mit ihrem neuen Vorsitzenden Peter Koehler (50) nicht unbedingt so. 70 Jahre nach Gründung des Südweststaats wird der württembergische Landesteil aus Sicht der Landesvereinigung Baden in Europa noch immer bevorzugt. Nach einer von ihr im Herbst veröffentlichten Untersuchung gibt es eine Reihe von Ungerechtigkeiten - von Steuereinnahmen über den Straßenbau bis zur Hochschulförderung. Ungerecht sei etwa, dass bei Mercedes-Benz in Baden Tausende Menschen arbeiten, die Steuern aber in Stuttgart bezahlt werden. Mürb hatte deshalb für eine »Badenerquote« von 45 Prozent plädiert. Damit würde der badische Landesteil gemäß seiner Bevölkerungszahl berücksichtigt und stärker beteiligt werden.
Rund 11,1 Millionen Menschen leben nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Baden-Württemberg. 5,1 Millionen davon in den badischen Regierungsbezirken Karlsruhe und Freiburg, 6 Millionen in den württembergischen Regierungsbezirken Stuttgart und Tübingen.
Die Landesvereinigung zählt nach eigenen Angaben rund 23.000 Mitglieder, darunter Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), ein Schwabe. Sie vertritt seit 1992 badische Interessen gegenüber der Landesregierung. Ständiges Mahnen habe immerhin 2015 zu einer Ergänzung der Landesverfassung geführt, sagt Mürb. Paragraf 3a laute: »Der Staat fördert gleichwertige Lebensverhältnisse, Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen im gesamten Land.«
Die Landesvereinigung hat am Donnerstag einen Generationswechsel vollzogen: Der Verein wählte den Verkehrsplaner Peter Koehler einstimmig zum Vorsitzenden. Der bisherige Vorsitzende Robert Mürb (89) trat nicht mehr an. Er stand 25 Jahre an der Spitze der Badener-Lobby und hat sich in der Landeshauptstadt immer wieder vehement für die Belange des badischen Landesteils eingesetzt.
Mürb, ein früherer Professor für Landschaftspflege, hat schon manch Regierenden in Rage gebracht. Für Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) war der sanfte Baden-Rebell ein »Separatist« und »Volksverführer«. Regierungschef Kretschmann pflegte hingegen ein entspanntes Verhältnis zu ihm. Mürb forderte in seinem letzten Rechenschaftsbericht eine Dezentralisierung der Landesverwaltung nach dem Vorbild von Bayern, Hessen oder Rheinland-Pfalz. In Bayern sei sogar ein Ministerium von München nach Nürnberg verlegt worden. Die zunehmende Digitalisierung biete Chancen für Dezentralisierung. Auch Koehler will die Entwicklungen im Land kritisch verfolgen. Zugleich möchte er die Zusammenarbeit über den Rhein ausbauen.
Veranstaltung 70 Jahre Baden-Württemberg
© dpa-infocom, dpa:220408-99-844119/6