Diese Stimme in der Sprachnachricht, die da am Freitag im Gerichtssaal erklingt, sie hört sich brüchig an, verheult, verzweifelt. »Mir geht's beschissen und ich weiß nicht, was ich machen soll«, schluchzt da eine Frau in ihr Handy. »Ich habe solche Angst.« Sie sei von sich selbst enttäuscht, sagt sie - weil sie nicht geschafft habe, im entscheidenden Moment zu gehen. »Ich hätte «Nein» sagen können - Keiner muss sich küssen lassen.«
Beim Küssen ist es auch nicht geblieben.
Die Stimme gehört einer Kriminalhauptkommissarin, die den Inspekteur der Polizei (IdP) der sexuellen Nötigung bezichtigt. Das #metoo-Verfahren vor dem Landgericht soll klären, ob der ranghöchste Polizist des Landes seine Machtstellung als Vorgesetzter missbrauchte, um die Kommissarin zu sexuellen Gefälligkeiten zu drängen. Sie wirft ihm vor, sie bei einem Kneipenabend im November 2021 genötigt zu haben, seinen Penis anzufassen. Er behauptet, sie habe nach seinem Glied gegriffen. Vor und nach der Szene tauschten die beiden Zärtlichkeiten in der Kneipe aus und knutschten - eine Kamera über der Theke filmte die beiden. Die damals 32 Jahre alte Polizistin wollte in den höheren Dienst, er war ihr Vorgesetzter.
Einen Tag nach der Kneipennacht, um 13.07 Uhr, schickt die Frau jene Sprachnachricht an einen Vertrauten - ein Kollege, mit dem sie zuvor eine Affäre hatte. Dreieinhalb Minuten dauert die Botschaft. Darin drückt sie ihre Angst aus vor dem, was passieren könnte, wenn sie die Avancen des Inspekteurs zurückweist - dann könne sie das mit dem höheren Dienst vergessen, sagt sie. »Ich hätte einfach aufstehen sollen und nach Hause fahren.« Sie berichtet ihrem Kollegen von den Küssen, nicht aber von den intimen Berührungen, die sich vor der Kneipentür abspielten.
Für den Nebenklageanwalt, der die Kommissarin vertritt, zeigt die Nachricht eine ganz typische Reaktion von Opfern von Sexualdelikten. Die fühlten sich nach der Tat oft schmutzig und schuldig und seien zornig auf sich selbst, sagt er am Freitag. Die Polizistin benenne ganz konkret, das sie berufliche Nachteile bei einer Zurückweisung des Inspekteurs fürchte. Für die Verteidigerin des Inspekteurs zeigt die Polizistin in der Nachricht hingegen keine Angst vor dem Angeklagten, sondern vielmehr die Angst, ihren eifersüchtigen Kollegen zu verlieren, für den sie immer noch Gefühle hatte.
In einer weiteren Sprachnachricht schildert die Anzeigenerstatterin dann den Verlauf jenes Tages im November. Wie der Inspekteur mit ihr zunächst ein Gespräch in seinem Dienstzimmer führte und dabei Sekt getrunken wurde. Wie sie sich zu einem Absacker überreden ließ. Wie der Inspekteur irgendwann begann, ihr von seinen sexuellen Vorlieben zu berichten. Irgendwann sei das Gespräch gekippt, berichtet die Kommissarin. »Ich war so dumm und dachte, sowas macht der nicht«, sagte sie. »Ich hätte ihm das nicht zugetraut als IdP - Mann hin oder her, da überwiegt die Position.« Sie habe sich unwohl gefühlt, sei aber nicht mehr aus der Situation herausgekommen. »Und irgendwann kam er mit einem Kuss.« Gewehrt habe sie sich aber nicht, räumt sie ein.
Der Fall hat in der Polizei und Politik für viel Aufregung gesorgt - und ist auch Thema eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der seit Monaten läuft. Am 7. Juli sollen die Schlussplädoyers gehalten werden. Das Urteil soll am 14. Juli fallen.
Termine auf der Website des Landgerichts Stuttgart
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