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Schreie, Steine, Dachlatten: Prozess zu Eritrea-Krawall

Rund um eine Eritrea-Veranstaltung gab es vergangenes Jahr in Stuttgart schwere Ausschreitungen. Ein 29-Jähriger sitzt nun auf der Anklagebank. Als Beweise gegen ihn dienen vor allem Videos vom Tag.

Beginn Prozess wegen Angriffs auf Eritrea-Veranstaltung
Ein Kameramann filmt in einem Gerichtssaal den Beginn eines Prozesses. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Ein Kameramann filmt in einem Gerichtssaal den Beginn eines Prozesses.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

Zunächst wirkt die Stimmung auf dem Polizeivideo ausgelassen. Gruppen junger Männer ziehen durch die Straße, als gingen sie zu einer Party, sie lachen in die Kamera. Nur wenige Momente später zeigt dasselbe wackelige Video Filmausschnitte wie aus einer Hooligan-Schlacht. Zu sehen sind ungeschützte Polizisten, die sich verzweifelt verteidigen gegen die jungen Männer, die mit Dachlatten und Brettern auf sie einschlagen, voller Wut. Es fliegen Plastikstühle und Pflastersteine, Schreie sind zu hören, Pfefferspray wird von Polizisten versprüht. Immer wieder ruft jemand »weg, weg«, ein anderer »zurück, zurück«. 

Die Handyclips und Polizeimitschnitte stammen vom Tag der Ausschreitungen bei einer Stuttgarter Eritrea-Veranstaltung im vergangenen September. Erstmals setzt sich seit Donnerstag ein Gericht mit den aufsehenerregenden Krawallen auseinander. Der junge Mann auf der Anklagebank des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt war nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft damals dabei. Nicht als Mitläufer, sondern als jemand, der den Krawall geschürt hat. Er hatte laut Anklage während der Proteste als erster einen Bauzaun-Betonfuß und später unter anderem einen mehr als drei Kilogramm schweren Pflasterstein geworfen. 

Dem nun zunächst angeklagten 29 Jahre alten Mann mit eritreischer Staatsangehörigkeit werden besonders schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Er soll zudem Polizisten angegriffen haben. Zum Prozessauftakt äußert er sich weder zu seinem Lebenslauf noch zum Tag des Krawalls. Doch ein sogenannter Super-Recognizer (Gesichtserkenner) der Stuttgarter Polizei weist als Zeuge auf die Szenen hin, auf denen der Mann, der nun schweigend und aufmerksam auf der Anklagebank sitzt, zu sehen sein soll. Im dunklen Kapuzenpullover, eine Latte oder Stange in der linken Hand, einen Stein in der rechten, den er den Polizisten entgegenschleudert. 

Mit Dachlatten und Stangen hatten er und bis zu 200 randalierende Demonstranten laut Anklage am Nachmittag des 16. September vergangenen Jahres gegen die Veranstaltung des Eritrea-Vereins im Römerkastell demonstriert, weil die Teilnehmer ihrer Ansicht nach dem diktatorischen Regime in Afrika nahestanden. So schätzt es auch die Polizei ein. 

Die Demonstranten warfen Steine und Flaschen auf die Polizistinnen und Polizisten und sorgten damit bundesweit für Aufsehen und Erschrecken. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden 39 Polizeibeamtinnen und -beamte verletzt, einige von ihnen schwer, auch Besucher der Veranstaltung erlitten Verletzungen.  

Die Oppositionellen kamen vor allem aus dem Stuttgarter Umland, sie reisten aber auch aus der Schweiz und aus Gießen an. In der hessischen Stadt war es wenige Wochen zuvor ebenfalls zu Ausschreitungen rund um eine ähnliche Veranstaltung gekommen. 

Eritrea gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, es gilt als eine der brutalsten Diktaturen. Es gibt dort nur eine Partei, Opposition ist verboten. Es gibt weder eine Verfassung noch Gewaltenteilung oder Wahlen. Wegen politischer Verfolgung und der Menschenrechtslage sind Abschiebungen nach Eritrea aktuell nicht möglich.

Die Auseinandersetzungen erklären Eritrea-Experten als eine Art Stellvertreterkrieg. Eritreische Vereine stehen der Regierung des Landes in Afrika nahe, die Veranstaltungen rufen aber Regierungsgegner auf den Plan.

Ein Urteil will das Amtsgericht am 8. März (13.30 Uhr) sprechen. Wenige Tage zuvor (5. März) beginnt ein weiterer Prozess gegen einen mutmaßlichen Beteiligten an den Stuttgarter Krawallen.

© dpa-infocom, dpa:240228-99-158411/7