STUTTGART. Ob man des runden Leders auch mal überdrüssig werden kann? Christian Heckert lacht. »Ich bin sehr fußballinteressiert, das hilft«, sagt der 37-Jährige. Das beruhigt, denn Heckert kümmert sich seit Oktober 2022 um nichts anderes als die Fußball-EM in Stuttgart. Nicht als Sportler oder Funktionär, sondern als Polizist.
Damals hat der Leiter des Vorbereitungsstabes mit einem weiteren Kollegen begonnen, inzwischen ist die Gruppe gewachsen und bei ihrer endgültigen Größe von zwölf Beamtinnen und Beamten angekommen. Alle haben sich freiwillig dafür gemeldet, zehn kommen aus Stuttgart, je eine Kraft ist von den Präsidien Aalen und Reutlingen abgestellt. Jetzt sitzen sie gemeinsam in einem Büro im Stuttgarter Polizeipräsidium. »Wir sind hauptamtlich nur für die EM zuständig«, sagt Heckert.
Das geht auch gar nicht anders, denn das Thema Sicherheit ist ein gewaltiges bei dieser Fußball-Europameisterschaft. Der russische Angriff auf die Ukraine, deren Mannschaft zudem in Stuttgart spielen wird, der aktuelle Nahostkonflikt, islamistische Terrordrohungen – da hilft auch der Vergleich mit der WM 2006 wenig. »Wir haben mehrere Leitz-Ordner mit Unterlagen von damals bekommen. Da kann man aber nicht viel nutzen«, erzählt Heckert.
»Ungarn-Spiel ist ein Highlight für die Störer-Szene«
Die Lage heute ist einfach eine völlig andere. Besonders den Luftraum hat die Polizei im Blick – Drohnenangriffe etwa sind neu auf der Bedrohungsliste. Das Vorbereitungsdutzend muss jedwede Lage einkalkulieren, sowohl im Stadion als auch in den vier Fanzonen in der Innenstadt. Und selbst dazwischen, wenn zum Beispiel Fanwalks geplant werden, bei denen die Stadionbesucher gemeinsam zur Arena ziehen. »Wir bereiten alle Szenarien vom liegen gebliebenen Mannschaftsbus bis hin zum Unwetter oder Anschlag vor«, sagt Heckert. »Und wenn am Ende alle Vorkehrungen umsonst waren, weil nichts passiert, gehen wir glücklich heim.«
Auch ohne Israel brisant genug
Besonders im Fokus stehen natürlich die fünf Begegnungen, die in Stuttgart stattfinden. »Ich habe mich noch nie so früh dafür interessiert, wer sich für ein Turnier qualifiziert«, sagt Christian Heckert und lacht. Wäre zum Beispiel Israel dabei gewesen, »hätten wir vor noch größeren Herausforderungen gestanden«. Diese Planungen sind inzwischen im Archiv gelandet. Doch auch die anderen Partien bieten aus polizeilicher Sicht genug Brisantes. »Die Begegnung zwischen Deutschland und Ungarn ist sicherlich ein Highlightspiel für die Störerszene«, sagt der Experte. Man habe bei möglichen Gegenmaßnahmen aber »einen großen Besteckkasten«.
Mit den szenekundigen Beamten aus den entsprechenden Ländern ist man im Austausch, sitzt in diversen bundesweiten Organisationsgruppen. Wie viele Fans kommen aus welchen Ländern? Wie viele davon haben Karten fürs Stadion? Auf wen könnten sie beim Public Viewing auf dem Schlossplatz treffen? Reisen Politiker an? Alles Fragen, die in Sachen Sicherheit wesentlich sind. Auch Vertreter der Nationalverbände, die in Stuttgart spielen werden, waren schon da. Sie interessieren sich dafür, wo die Anhänger sich sammeln können, wie Fanwalks organisiert werden, ob Pyrotechnik erlaubt sein wird. Bei letzterer Frage lautet die Antwort eindeutig Nein. »Die Gesetze ändern sich ja nicht für die EM«, sagt Heckert.
»Natürlich können die Schotten im Kilt kommen«
Auch manch Kurioses landet bei den zwölf Beamtinnen und Beamten. Eine britische Boulevardzeitung etwa wollte wissen, wie die Polizei in Stuttgart reagiere, wenn die Schotten ganz traditionell gekleidet anreisen – mit Schottenrock, aber ohne Unterwäsche drunter. Und wie weibliche Einsatzkräfte dazu stehen, wenn Fans ihnen für Selfies Küsschen geben wollen. Heckert schmunzelt und sagt zur ersten Frage ganz diplomatisch: »Natürlich können die Schotten im Kilt kommen. Er sollte in der Öffentlichkeit aber nicht hochgezogen werden.«
Inzwischen läuft im Büro ein Ticker, die EM rückt näher. »Wir fiebern jetzt dem 13. Juni mit dem Eröffnungskonzert entgegen, aber die Zeit rennt«, sagt der gebürtige Berliner, der eigentlich Union-Fan ist und in der Jugend selbst gekickt hat. Bei VfB-Spielen war er schon für die Rahmenplanung zuständig und im Führungsstab tätig.
Von den EM-Begegnungen allerdings wird er wie so viele Einsatzkräfte nicht viel haben. »Theoretisch habe ich eine Akkreditierung fürs Stadion, werde aber nicht hinkommen«, sagt er. Sein Platz sei im Stab. Immerhin, die Spiele wird man dort auf dem Monitor im Auge behalten – auch aus Sicherheitsgründen. Je nach Spielverlauf kann sich für die Polizei die Ausgangslage binnen Sekunden ändern. Heckert verbindet mit der EM aber vor allem eine Hoffnung: »Wir freuen uns, wenn sie für alle ein Fest wird.« (GEA)