Auch nach der Corona-Pandemie könnte Hybridunterricht in Gymnasien als ein Instrument gegen den Lehrermangel erprobt und eines Tages zur Regel werden. Nach einem entsprechenden Vorschlag von Bildungswissenschaftlern für die Kultusministerkonferenz (KMK) zeigt sich Landeskultusministerin Theresa Schopper offen für das Konzept in der Oberstufe. »Das ist ein Ansatz, den ich interessant finde«, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag. »Er entspricht unserer modernen Lebens- und Arbeitswelt.«
Auch im Beruf erwarte junge Erwachsene die Arbeit in der hybriden Form, also in Präsenz und am Bildschirm zu Hause. »Seit Corona ist das Homeoffice nicht mehr wegzudenken«, sagte Schopper. »Und in der Oberstufe sind unsere Schülerinnen und Schüler auch reif genug, um damit angemessen umzugehen.«
Im Hybridunterricht wird ein Teil der Klasse an der Schule in Präsenz unterrichtet, während andere Schülerinnen und Schüler von zu Hause aus zugeschaltet werden. Möglich ist dann auch, dass eine Lehrkraft in einer Klasse unterrichtet und eine andere Klasse - auch aus einer anderen Schule - zugeschaltet ist. Ein ähnliches Angebot wird derzeit in Sachsen erprobt. Dabei kooperieren drei Schulen miteinander. Der Präsenzunterricht findet dabei an einer Schule statt und wird jeweils an den anderen Standorten per Videoschaltung übertragen.
Die bei der KMK angesiedelte Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) gibt regelmäßig Empfehlungen für die Bildungspolitik. In einer neuen Stellungnahme zeichnet sie ein dunkles Bild des dramatischen Lehrermangels in Deutschland und macht weitere Vorschläge, um die Lücken auszugleichen, die sich durch das fehlende Personal an den Schulen ergeben. So könnten für die Oberstufe unabhängig von der Mangellage neben den hybriden Unterrichtsformaten auch Selbstlernzeiten eingeführt werden. Empfohlen wird zudem, ältere Lehrkräfte aus dem Ruhestand zurückzugewinnen oder über die Altersgrenze hinaus weiter zu beschäftigen.
Um dem Lehrermangel zu begegnen, sollten auch ein höheres Unterrichtspensum für Lehrkräfte geprüft, weniger Teilzeitmöglichkeiten eingeräumt und gegebenenfalls größere Klassen gebildet werden. Einige der Vorschläge sind auch in Baden-Württemberg in der Probephase oder werden bereits umgesetzt.
Die Kommission schreibt, sie sei sich bewusst, dass ihre Vorschläge »eine zusätzliche Belastung für Lehrkräfte mit sich bringen«. »Deshalb müssen die hier vorgeschlagenen Maßnahmen befristet werden«, heißt es. Die Wissenschaftler mahnen aber auch: Allen Akteuren im Schulsystem müsse klar sein, dass die Gesellschaft vor einer historischen Herausforderung stehe, die größte Anstrengungen erfordere.
Die Vorschläge stoßen bei Lehrervertretern und Bildungsgewerkschaften erwartungsgemäß auf scharfe Kritik. Der Deutsche Lehrerverband nennt viele der Vorschläge praxisfremd und kontraproduktiv. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert, wenn die Kommission als Ausgleich »Achtsamkeitstraining und Yoga« empfehle, sei das »blanker Hohn«. Auch die FDP erteilt der Idee eine Absage: Nach sei nach zwei Jahren Homeschooling wichtig, einen regulären Präsenzunterricht zu ermöglichen. »Gerade der soziale Aspekt - zwischen Schülerinnen und Schülern, aber auch die Beziehungsebene zwischen Kind und Lehrkraft - muss nachhaltig gestärkt werden«, sagte der FDP-Bildungsexperte Timm Kern.
Als »Traumtänzerei« bezeichnet Gerhard Brand, Landes- und Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) den Ideenkatalog. »Es ist ein Irrglaube, die Beziehungsebene zur Lehrkraft durch eine Videoleinwand ersetzen zu können«, sagte er zum vorgeschlagenen Hybridunterricht. »Es ist ebenso ein Irrglaube zu denken, dass Schülerinnen und Schüler ohne Anwesenheit der Lehrkraft brav auf ihren Stühlen sitzen und auf Beschulung warten.« Außerdem fehlten Lehrkräfte vor allem in Grundschulen und in Schulen in herausfordernden sozialen Lagen, weniger in Gymnasien.
Vorausberechnungen der KMK zum Lehrkräftebedarf
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