STUTTGART. Richter Hans-Jürgen Wenzler, Vorsitzender der 20. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart, hat in zwei Prozessen zum Klinikum-Skandal schon fast 60 Verhandlungstage hinter sich gebracht, als er vom damaligen Leiter der für ausländische Privatpatienten zuständigen Abteilung (IU) die entscheidende Antwort erbittet: »Was sollte das Ganze?« Wer sollte im Zusammenhang mit der Abrechnung der Behandlung von 370 libyschen Kriegsversehrten überhaupt getäuscht werden, wenn doch alle Beteiligten um den Betrug bei der Rechnungsstellung wussten, also sowohl auf der Seite der Libyer als auch im Klinikum, und dort bis hoch zur Geschäftsführung, wie der damalige IU-Chef Andreas Braun als Angeklagter ständig beteuert.
Überteuerte Behandlungen
Die Kosten für die Betreuung mussten, wie auch die nicht vereinbarten Provisionen – teilweise war es Schmiergeld – in den (überteuerten) medizinischen Behandlungen versteckt werden, weil es dafür keine schriftliche Abmachung gab. Und um von der – nicht eingeweihten – libyschen Botschaft eine weitere Zahlung von sieben Millionen Euro zu ergaunern. Damit wäre der Plan aufgegangen, dann »würden wir vielleicht gar nicht hier sitzen«, sinnierte Wenzler. Bekanntlich kam es anders: in Stuttgart hatte man die Rechnung ohne eine Berlinerin gemacht, die in der libyschen Botschaft den Betrug erkannte und zur Anzeige brachte.
Richter Wenzler wollte am dritten Verhandlungstag im Prozess gegen Braun und vier ehemalige Kolleginnen das vom Ex-Abteilungsleiter geprägte Bild vom »Saustall Klinikum nicht überstrapazieren«. Unstrittig sei aber, dass in der IU nicht nur getäuscht worden sei, sondern ein heilloses Chaos herrschte und man wegen der Vielzahl der Aufgaben den Überblick über die aus dem Ruder laufenden Ausgaben verloren habe. »Ich würde Ihnen in diesem Punkt nicht widersprechen«, betonte der Angeklagte.
Interne Revision abgelehnt
Im größten Klinikum des Landes agierte 2013 eine Verwaltung ohne interne Revision – ein entsprechender Vorschlag der Chef-Controllerin war 2011 von der Stadt mit Verweis auf das städtische Rechnungsprüfungsamt und externe Wirtschaftsprüfer abgelehnt worden. Im Klinikum flossen dennoch unbeanstandet Millionen Euro auf Grundlage von – oft Schmierzetteln gleichenden – Rechnungen ins Ausland oder aufs Girokonto der Mutter eines Patientenbetreuers. Sogar externe Dienstleister haben Rechnungen für den städtischen Eigenbetrieb freigezeichnet.
Überhöhte Abrechnungen für in Fremdkliniken behandelte Patienten wurden mittels diverser Zuschläge »aufgeblasen«. Ein ebenfalls angeklagter Prüfer stempelte die Rechnung gegen Provision ab.
832.000 Euro auf Geheimkonto
Vor allem mit einer Rechnung können sich die Richter stundenlang beschäftigen. Sie ist aber auch zu interessant. Es geht um 832.996 Euro, die von einem nicht ausreichend gedeckten Nebenkostenkonto, das es nicht hätte geben dürfen, aufs Konto der Firma Libya Consulting & Logistic in Tunis überwiesen wurden. Die Rechnung war weder in Arabisch noch in Französisch verfasst, das galt auch für den Briefbogen, auf dem wichtige Kenndaten fehlten. Auch die Unterschrift auf der Rechnung stimmte nicht mit der des Geschäftsführers überein.
Das hinderte den damaligen Leiter der Finanzabteilung nicht, dafür eine gutwillige Untergebene anzuweisen, die von IU-Chef Braun (ohne Datum) vorgelegte Rechnung abzuzeichnen und sie ihrer Vorgesetzten zur Freigabe vorzulegen. Es war das Pech der Leiterin des Servicecenters Finanzen und Controlling, dass sie an diesem Tag die ranghöchste Klinikum-Vertreterin war, weil weder der Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz noch der Ärztliche Direktor Claude Krier, denen auch noch der Prozess gemacht wird, greifbar waren. Andreas Braun soll Druck gemacht und behauptet haben, es stünden weitere 150 Patienten an der Grenze (welche, hat er nicht gesagt), die vor der Schließung stehe (warum, ließ er unerwähnt), und man brauche vor Ort Bares für deren Visa. Ihre Kürzel auf der Überweisung, die sich als Schmiergeldzahlung an den libyschen Drahtzieher herausstellte, brachten die nichts ahnenden Frauen nun auf die Anklagebank.
150.000 Euro Taschengeld
Rechtsanwalt Alexander Knecht, der eine Ex-Mitarbeiterin vertritt, hat sich betont überrascht gezeigt, dass dort nicht auch der ehemalige Leiter der Finanzabteilung Platz nehmen muss – eine Frage, die sich seit zwei Jahren tatsächlich auch bei anderen Ex-Mitarbeitern stellt. Tatsächlich begnügt sich die Anklagevertretung, ihn als Zeugen zu vernehmen. Im ersten Prozess war dessen Aussage wenig ergiebig – zehn Jahre waren seit der Anweisung vergangen.
Am 22. Februar wird sein Erinnerungsvermögen erneut strapaziert. Er dürfte dann auch auf einen handschriftlichen Vermerk angesprochen werden. Darin soll er die angeblich mündlich erteilte Zustimmung der Chef-Controllerin zur Auszahlung von 150.000 Euro Taschengeld (von insgesamt 16 Rechnungen über zwei Millionen Euro) für die libyschen Patienten bestätigt haben. Die Angeklagte hat diesen Vorwurf von Anfang zurückgewiesen. Vielleicht erinnert sich der Mitunterzeichner. Er ist ebenfalls als Zeuge geladen. (GEA)