STUTTGART. Reichsadler, Hakenkreuz, Horst-Wessel-Lied: An mindestens fünf öffentlichen Gebäuden in Baden-Württemberg gibt es noch Nazi-Hinterlassenschaften. Bei drei von ihnen handelt es sich um Gebäude des Landes in Maulbronn (Enzkreis), Ulm und Freiburg. Zwei sind städtische Gebäude in Bretten (Landkreis Karlsruhe) und Rottweil. In zwei Fällen ist noch in der Diskussion, was genau passieren soll. Bei allen anderen haben sich die zuständigen Behörden dazu entschlossen, die historischen Überreste nicht zu entfernen - und Erklärtafeln angebracht.
Ulm
Für den steinernen Reichsadler an der Außenfassade des Finanzamtes Ulm plant der Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg einen lokalen Kunstwettbewerb für eine künstlerische Gestaltung. »Die künstlerische Befassung und Auseinandersetzung ist eben auch ein gesellschaftlicher Beitrag, der an dieser Stelle der Historie Rechnung tragen soll«, sagte der Ulmer Amtsleiter Tilmann Häcker. Damit gehe auch eine wichtige Beschäftigung der Öffentlichkeit mit dem Thema einher. Dazu soll es demnach eine Erklärtafel geben, deren Text bereits vorliegt. Nach Angaben von Häcker sollen fünf bis zehn Künstler aus der Region an dem Wettbewerb teilnehmen. Das Budget werde voraussichtlich bei bis zu 10 000 Euro liegen.
Bretten
Nach Kritik eines Stadtrates an einem Hakenkreuz am Fenster des Bürgersaals im Alten Rathaus von Bretten hatte Oberbürgermeister Martin Wolff (parteilos) das Nazi-Symbol im August 2023 abkleben lassen. Der Petitionsausschuss des Landtages stellte im Dezember fest, dass »kein rechtlicher Grund für eine zwingende Entfernung des Fensterbilds« vorliege - »die Fensterfront in ihrer Gesamtdarstellung als solches hat bereits musealen Charakter, auf eine Verbringung in ein Museum kommt es somit nicht an«.
Ein Sprecher der Stadt teilte nun mit, aufgrund der Feststellung des Ausschusses »sehen wir als Verwaltung keinen Zeitdruck und keine zwingende Notwendigkeit, dieses sensible Thema inmitten des Kommunalwahlkampfs erneut zu debattieren«. Solch eine Entscheidung müsse gut vorbereitet sein, besonders was etwaige Kosten für eine Überführung ins Stadtmuseum angehe. »Falls der Wunsch durch den neu gewählten Gemeinderat nach einer Entfernung besteht, wird das Thema selbstverständlich im Gremium behandelt.«
Maulbronn
Der Reichsadler in der Stadthalle in Maulbronn (Enzkreis) hat im Mai eine Erklärtafel erhalten, wie das Finanzministerium mitteilte. Darauf steht unter anderem, dass der Ludwigsburger Bildhauer Erwin Scheerer den Reichsadler 1940 angefertigt habe. Der Reichsadler halte einen Eichenkranz in seinen Krallen, an dem sich ursprünglich noch ein Hakenkreuz befunden habe. Das Hakenkreuz sei in der Nachkriegszeit entfernt worden. Der Reichsadler sei dagegen nicht entfernt worden, »um die Erinnerung an die verbrecherische NS-Herrschaft wach zu halten. Er ist ein Mahnmal für die furchtbaren Verbrechen der NS-Zeit.«
Freiburg
Auf dem Kollegiengebäude I der Universität in Freiburg prangt nach Angaben des Finanzministeriums über dem Haupteingang der Schriftzug »Dem ewigen Deutschtum«. Dieser wurde nach dem Brand des Kollegiengebäudes im Jahre 1934 angebracht, wie der Petitionsausschuss im Dezember schrieb. Er sei nach dem Krieg bewusst als Mahnmal belassen worden. Dort gibt es eine Hinweistafel, auf der über einen QR-Code ein Hinweistext abgerufen werden kann.
Karlsruhe
In einer Ministeriumsantwort zum Thema vom vergangenen Jahr wird noch das Palais des Bundesgerichtshofs aufgeführt, wo auf einer Tafel an 34 Reichsgerichtsräte und Reichsanwälte erinnert wird, die 1945 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet wurden und unter ungeklärten Umständen zu Tode kamen. Unter diesen befanden sich auch Juristen, die in der NS-Zeit an Unrechtsurteilen beteiligt waren. Dort gibt es ebenfalls eine Erklärtafel.
Rottweil
An einer Säule im Innenhof des Albert-Magnus-Gymnasiums in Rottweil befindet sich ein Textteil des Horst-Wessel-Liedes, einem SA-Kampflied. Dieser Teil ist nach Angaben der Stadt ein Überbleibsel eines Mahnmals für im 1. Weltkrieg gefallene Schüler. Ehemalige Schüler des Gymnasiums kritisierten demnach 2019, dass die Worte dort unkommentiert stünden. Daraufhin hätten sich Stadt und Schule für eine Erklärtafel entschieden.
Was eine Expertin zu der Diskussion sagt
Zur Frage »Abhängen oder nicht?« sagt die Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin Eva-Maria Heindl: »Es hilft natürlich nichts, wenn man die Objekte entfernt, weil man sie damit der Öffentlichkeit entzieht - und dementsprechend auch dem öffentlichen Diskurs, der politischen Bildung.« Wichtig sei allerdings, dass die Objekte nicht unkommentiert hängen blieben. Zumindest eine ergänzende Erklärtafel sei wichtig.
Es gehe darum, das Bildungspotenzial der Objekte zu nutzen, etwa aufzuzeigen, wer vom System des Nationalsozialismus konkret profitiert habe, sagt Heindl. So könne zum Beispiel dargestellt werden, wer einen Reichsadler hergestellt habe und woher das Material dafür gekommen sei.
Heindl, die als Doktorandin an der Universität Heidelberg forscht, spricht sich klar für eine künstlerische Auseinandersetzung mit NS-Symbolen wie in Ulm aus: »Jede Auseinandersetzung ist wünschenswert, ob sie jetzt künstlerisch ist oder in Form einer Podiumsdiskussion.« Dabei sei aber immer auch das Umfeld zu beachten, in dem die NS-Symbole hingen - in einer schlichten Stadthalle könne eine umfassende künstlerische Umgestaltung schwierig werden.