Frisches Schilf für die alten Dächer: Reetdachdeckerin Moira Memmhardt deckt mit ihren Kollegen ein paar Dachseiten von Steinzeit-Nachbauten im Pfahlbaumuseum am Bodensee neu. Stürme haben die Häuser der originalgetreu nachgebauten Siedlung auf Stelzen direkt am Ufer ramponiert. »Rund 3000 Bunde Schilf müssen auf sechs Dächern festgezurrt werden«, sagt die 30-Jährige.
Für die Arbeiten setzt das Freilichtmuseum in Uhldingen-Mühlhofen auf Reetdach-Expertise aus dem Norden. Die Baustelle sei für sie ein besonderes Highlight, so die Handwerkerin Moira Memmhardt, die eigentlich im niedersächsischen Dannenberg zu Hause ist. Bei gutem Wetter sehe man bis zu den Bergen. »Natürlich ist es etwas Besonderes, mit diesem Panorama - das haben wir im Norden nicht.«
Reetdachdeckerin in zweiter Generation
Auch ihr Vater habe schon im Pfahlbaumuseum am Bodensee gearbeitet, er sei auch Reetdachdecker. Der Arbeitsplatz sei mit Erinnerungen verknüpft. Hauptsächlich arbeite sie aber in der Heimat unweit von Lüneburg.
Der Job sei nicht ohne, aber man komme gut rein. »Wenn man es kann, ist es nicht mehr so aufwendig«, sagt Memmhardt. Es sei aber ein langer Weg.
Das Material sei eine der größten Herausforderungen. Der Umgang damit müsse erst einmal gelernt werden. »Ich habe ein Jahr lang allein dafür gebraucht. Erst habe ich als «Bodenpersonal» die Dachdecker mit dem Material beliefert und es vorsortiert.« Insgesamt dauere es rund drei Jahre, bis man alles gelernt habe. »Natürlich lernt man in dem Beruf nie aus, wie in fast jedem Handwerk.«
Keine Höhenangst
Man müsse ein Auge dafür bekommen, welches Material am besten für welche Stelle am Dach geeignet sei. »Schöne Bunde sind eher für die äußeren Stellen«, erklärt Memmhardt. Andere Bunde werden mitten in der Fläche platziert. »Kurze Bunde benutzt man am First, weil man an der oberen Dachkante etwas abschneidet und so nicht so viel Material verliert.«
Körperlich sei die Arbeit sehr anstrengend. »Da muss man schon für gemacht sein«, findet die Handwerkerin. Man müsse klettern und balancieren. »Ein guter Gleichgewichtssinn ist wichtig - und man darf keine Höhenangst haben.« Mit der Zeit gewöhne man sich an die Arbeit.
Für den Job mache man in der Regel eine Ausbildung zur Dachdeckerin oder zum Dachdecker mit einer Spezialisierung in Reetdachtechnik. »Die Ausbildung gibt es erst seit 2003 richtig als Lehrberuf.«
Einblicke in den Job auf Instagram
Memmhardt aber hat erst eine Ausbildung zur Tischlerin gemacht und sei dann 2018 umgestiegen auf das Reetdach. »Weil ich einfach Bock auf Handwerk hatte, und als Tischler macht man mittlerweile vieles mit Maschinen.«
Auf Instagram gibt sie unter dem Namen »Tatching.Girl« Einblicke in den Beruf. Frauen seinen in dem Job eher selten. Und auch Nachwuchs zu gewinnen, sei nicht leicht. »Es ist ein aussterbender Beruf.«
An den sechs Häusern am Bodensee müsse etwa sechs bis acht Wochen lang gearbeitet werden. »Pro Haus braucht man ungefähr eineinhalb Wochen«, berichtet Memmhardt. Das Material sei sehr nachhaltig. Man könne das alte Reet nach dem Austausch einfach auf den Komposthaufen werfen und verrotten lassen.
»Die Dächer halten 40 bis 50 Jahren, so wie ein normales Ziegeldach auch«, sagt Museumsdirektor Gunter Schöbel. Das heute verwendete Schilf komme aus Ungarn. »Die alten Häuser sind noch mit Schilf aus der Region gedeckt worden.« Der Wunsch sei, wieder die regionalen Rohstoffe zu nutzen. Rund 120 000 Euro koste die Restaurierung.
Das Pfahlbaumuseum in Uhldingen-Mühlhofen ist nach eigenen Angaben das älteste Freilichtmuseum seiner Art in Europa. 23 der Stein- und Bronzezeit nachempfundene Häuser lassen sich dort besichtigen. Die prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen gehören seit 2011 zum Unesco-Welterbe. Mit mehr als 300 000 Besuchern im Jahr gehört das archäologische Freilichtmuseum zu den wichtigsten Attraktionen am Bodensee.
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