Angesichts hoher Inflation und drohender Gasmangel-Lage hat der Rechnungshof die grün-schwarze Landesregierung zu Maßhalten und verstärkter Krisenvorsorge aufgefordert. Präsident Günther Benz kritisierte am Montag in Stuttgart, dass die Ministerien trotz engen Spielraums im Doppelhaushalt 2023/2024 Mehrausgaben in mehrfacher Milliardenhöhe beantragt hätten. »Man sollte Notwendiges von Wünschenswertem trennen«, sagte Benz. Die Ressorts müssten wegen der Krise manches zurückstellen, was sie gerne machen würden. Der Finanzkontrolleur mahnte die Regierung, Pläne wie die Sanierung der Stuttgarter Staatsoper neu zu bewerten und Förderprogramme genau auf ihren Nutzen abzuklopfen. Vorrangig sei, dass die Regierung genügend Puffer für den Fall einer Verschärfung der Krise habe.
Finanzieller Spielraum fast neunfach überzeichnet
Kurz vor der Vorstellung der Denkschrift 2022 des Rechnungshofs wurde bekannt, dass die Ressorts kräftige Mehrausgaben beantragt haben. Obwohl im geplanten Doppelhaushalt 2023/2024 nur 890 Millionen Euro für zusätzliche Ausgaben zur Verfügung stehen sollen, meldeten die Ministerinnen und Minister von Grünen und CDU Bedarfe in Höhe über 7,6 Milliarden Euro an. Dabei hatten Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Finanzminister Danyal Bayaz (beide Grüne) die Ressorts schon mehrfach zur Mäßigung aufgerufen. Bayaz befürchtet wegen der Gaskrise einen Einbruch bei den Steuereinnahmen im Herbst, was dramatische Folgen für den Doppeletat haben könnte. Nächste Woche Dienstag kommt die Haushaltskommission der Regierung zusammen, um über die Verteilung der Mehrausgaben zu entscheiden.
Benz mahnte die Ministerien, sie müssten angesichts der Krise schon selbst über ihre Prioritäten nachdenken und nicht alles vor der Tür des Finanzressorts ablegen. Dem Vernehmen nach liegen allein die Zusatzanforderungen von Innenminister und Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl (CDU) über dem gesamten Spielraum von 890 Millionen Euro. Auch die Liste von Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne), der für das Corona-Management zuständig ist, soll sich auf mehr als 850 Millionen Euro summieren. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke spottete, die Regierung müsse sich offensichtlich erst an die Vertreibung aus dem finanziellen »Schlaraffenland« gewöhnen. Zu Strobls Wünschen sagte er: »Offensichtlich schreitet der Realitätsverlust erheblich voran.«
Appell: Sanierungspläne für Stuttgarter Oper überprüfen
Der Rechnungshof mahnte auch eine Überprüfung der Sanierungspläne der Stuttgarter Oper an. Der bisher auf eine Milliarde Euro taxierte Umbau sei ein »großes Investment«, sagte Benz. Der Sanierungsbedarf des über 100 Jahre alten Hauses sei zwar unstrittig. Doch in Krisenzeiten müsse man die Frage stellen, ob es andere sinnvolle Planungen geben könne, die zu einer kleineren und kostengünstigeren Lösung führen könnten. Benz hält es auch für denkbar, die Sanierung zeitlich zu strecken. »Das zu überprüfen würde ich für keine falsche Entscheidung halten«, sagte der Prüfer.
Die Finanzierung des Projekts wollen sich das Land und die Stadt Stuttgart teilen. Ob der bisherige Kostenrahmen von über einer Milliarde Euro zu halten ist, wird stark infrage gestellt. Zuletzt hatte es auch in der grün-schwarzen Koalition Zweifel gegeben, ob die Sanierung in Krisenzeiten noch haltbar ist. Vor allem die CDU-Fraktion will, dass die Planung nochmal überprüft wird. Das Finanzministerium verwies darauf, dass sich die Kosten auf zehn Jahre verteilen würden und noch nicht jetzt anfielen.
Kritik an Gießkanne des Verkehrsministers bei Elektromobilität
Der Rechnungshof hielt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) vor, bei der Förderung der Elektromobilität Förderprogramme en masse aufgelegt zu haben, ohne zu wissen, was diese genau bringen sollten. Von den 17 Programmen hätten nur 4 wirklich gewirkt. Aufwand und Ertrag hätten da in keinem Verhältnis gestanden, monierte Benz. Auf einen Großteil der Programme hätte man verzichten können. Auch hier sei die Frage zu stellen: »War das notwendig oder war das wünschenswert?«
Rechnungshof fragt: Wofür braucht das Land so viele Zuchthengste?
Unter die Lupe kam auch das Haupt- und Landgestüt Marbach. Die Rechnungsprüfer fürchten, dass das Land in Zukunft noch mehr als die bisherigen sechs Millionen Euro aufwenden muss, um das Defizit zu decken. Benz sagte aber auch: »Wir stellen Marbach nicht infrage.« Dennoch müsse das Gestüt wirtschaftlicher geführt werden. Obwohl es ein großes privates Angebot an Zuchthengsten gebe, habe das Gestüt seinen Bestand nicht reduziert. Ob Marbach tatsächlich für 45 Millionen Euro zu einer internationalen Sport- und Turnierstätte ausgebaut werden muss, stellten die Kontrolleure ebenfalls infrage. »Ist das jetzt zwingend notwendig?«, fragte Benz.
© dpa-infocom, dpa:220717-99-56081/3