REUTLINGEN. Der Fraktionschef der FDP im Stuttgarter Landtag, Hans-Ulrich Rülke erklärt, warum für die Liberalen eine Zusammenarbeit mit der AfD im Südwesten momentan nicht denkbar ist. Im Interview mit dem GEA erklärt der Ex-Lehrer Rülke auch, weshalb er sich für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium ausspricht, obwohl die FDP mit in der Regierung saß, als G8 im Jahr 2004 im Land eingeführt wurde.
GEA: Herr Rülke, Entsetzen ist teilweise festzustellen, wenn über die aktuellen Umfragewerte der AfD diskutiert wird. Trägt die FDP da nicht eine gewisse Mitverantwortung als gelegentlicher Tu-nicht-gut in der Berliner Ampel-Regierung?
Hans-Ulrich Rülke: Also ich höre von den Menschen nicht den Vorwurf, dass die FDP gelegentlich den Tu-nicht-gut in der Ampel spielt oder für Unruhe sorgt. Ich höre viel eher von den Wählern den Vorwurf, ihr von der FDP verhindert nicht genug grünen Unfug in der Regierung, deshalb wählen wir AfD. Da haben die Menschen nur teilweise recht, denn es ist der FDP nicht gelungen, etwa die Grünen dazu zu bringen, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern. Und dafür haben die Menschen kein Verständnis. Sie sehen, die Gaspreise steigen, die Strompreise steigen, und wir steigen jetzt aus der Kernkraft aus. Mit der Begründung der Grünen, man wolle Klimaschutz betreiben. Wenn aber Strom fehlt, wollen die Grünen auf Kohle zurückgreifen. Also Kohle statt Kernkraft. Und so soll das Klima geschützt werden? Das ist höchst widersprüchlich. Zweites Beispiel Gebäude-Energie-Gesetz. Ich habe noch niemanden gehört, der statt der FDP die AfD wählen will, weil sich die FDP mit den Grünen um das GEG gestritten hätten. Die Menschen waren sogar froh, dass durch die FDP das GEG entschärft wurde. Aber sie sehen, dass die FDP am Ende dem Gesetz zugestimmt hat und wandern deshalb enttäuscht zur AfD ab.
»Der Herr Özdemir ist gerade auffällig oft im Land unterwegs«
Und wie stehen Sie selber zu einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD?
Rülke: Solange diese Partei Menschen wie den Herrn Höcke, der ja der heimliche Partei-Vorsitzende ist, in ihren Reihen duldet und in führende Ämter wählt oder hier in Baden-Württemberg den Herrn Sänze, kann diese Partei nie ein Partner für uns Liberale sein. Denn diese Politiker stehen für rechtsextreme Tendenzen.
Apropos Zusammenarbeit. Sie haben zuletzt mehrfach betont, in dieser Legislaturperiode für eine Koalition mit den Grünen nicht zur Verfügung zu stehen. Das steht doch gar nicht zur Diskussion oder wurden Sie von den Grünen angefragt?
Rülke: Aber in der Diskussion steht doch zurzeit die Frage, ob Ministerpräsident Kretschmann bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleibt. Und ich stelle fest, dass Cem Özdemir verstärkt im Land unterwegs ist. Bei Terminen, bei denen die Grünen früher schreiend davongelaufen wären. Etwa beim Blutritt in Weingarten oder beim Schäferlauf in Urach, wo ja gerade eine Krönung schiefgelaufen ist. Vielleicht war das ein Testlauf. Sollte Kretschmann während der laufendenden Legislaturperiode zurücktreten, braucht sein Nachfolger eine Mehrheit im Landtag. Und da ist mit den Stimmen der FDP nicht zu rechnen. Denn die Politik der Grünen im Land übertrifft das, was die Grünen in Berlin durchsetzen, noch. Beispiel Solarpflicht auf den Dächern oder die kommunale Wärmeplanung. Und ob die CDU ihn wählen würde, muss man sie fragen.
»Bei der nächsten Landtagswahl ist auf jeden Fall mit mir zu rechnen«
Über Kretschmanns Rücktritt wird spekuliert, weil er 75 ist. Sie sind 61. Treten Sie bei der nächsten Landtagswahl nochmal an?
Rülke: Es ist damit zu rechnen, dass ich in meinem Wahlkreis nochmals antrete.

Im Land hat lange die Polizei-Affäre für Schlagzeilen gesorgt. Ist nach dem Freispruch für den Polizei-Inspekteur auch für die FDP die Sache erledigt?
Rülke: Bei Weitem nicht. In dieser Sache besteht noch großer Klärungsbedarf. Der Innenminister ist noch im Amt. Der Minister, der sein Amt missbraucht hat, damit gegen ihn nicht ermittelt werden kann. Bei einem anderen Straftatbestand hat er sich mit 15.000 Euro freigekauft. Der Innenminister trägt die Hauptverantwortung dafür, dass der Inspekteur entgegen anderen Empfehlungen in sein Amt kam. Der Innenminister duldet Saufgelage in seinem Ministerium, und ist nicht bereit, politische Verantwortung dafür zu übernehmen.
Fordern sie Strobls Rücktritt?
Rülke: Herr Strobl sagt, er trägt die Verantwortung für alles, was in seinem Haus passiert. Was anderes als einen Rücktritt könnte das also bedeuten? Und der Ministerpräsident verschließt aus machtpolitischen Gründen die Augen. Ein weiterer Grund übrigens, weshalb eine Zusammenarbeit mit ihm nicht möglich wäre.
»Wer Schutz will, muss beweisen, dass er Schutz braucht«
Kreise und Kommunen im Land warnen vor Überforderung durch die stetig steigende Zahl an Flüchtlingen. Welche Strategie würde die FDP verfolgen?
Rülke: Wir müssen den Flüchtlingszustrom unbedingt begrenzen, sonst droht den Städten und Gemeinden im Land tatsächlich der Kollaps. Wir sind auf europäischer Ebene da mittlerweile auf dem richtigen Weg mit den Ankunftszentren an den EU-Außengrenzen. Dort sollen die zurückgewiesen werden, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Die Grünen-Spitze hat sich zu einer Zustimmung durchgerungen, die Grünen-Basis ist weiterhin strikt dagegen. Diejenigen, die tatsächlich individuell verfolgt werden, sollen hier bei uns Schutz finden. Diejenigen, die wichtig für unseren Arbeitsmarkt sind, sollen Aufnahme finden. Die, die nur in unsere sozialen Sicherungssysteme flüchten wollen, sollen gar nicht einwandern dürfen. Und derjenige, der kommt, muss nachweisen, dass er politisch verfolgt ist beziehungsweise die Aufnahmebedingungen erfüllt.
Wie kommuniziert man das, ohne in die Nähe der AfD gerückt zu werden?
Rülke: Indem man es genauso sachlich und sauber formuliert, wie ich das eben getan habe.
Zur Person
Hans-Ulrich Rülke (61) ist seit 2009Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag und war Spitzenkandidat seiner Partei bei den jüngsten Landtagswahlen. Rülke studierte Germanistik, Politik, Geschichte und Soziologie, war als Lehrer und am Oberschulamt tätig. Der Vater dreier Kinder ist stellvertretender Landesvorsitzender seiner Partei und Mitglied im FDP-Bundespräsidium. (oje)
Viel diskutiert wird in letzter Zeit die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Welche Variante würden Sie dem Land empfehlen, G8 oder G9?
Rülke: Die FDP hat vor 20 Jahren gemeinsam mit der CDU in der Regierung G8 eingeführt, unter anderem, weil die Wirtschaft gesagt hat, unsere Schul-Absolventen seien zu alt. Das zählt heute nicht mehr. Mittlerweile ist etwa die Wehrpflicht abgeschafft. Viele junge Menschen wissen nach dem Abitur mit siebzehneinhalb Jahren noch nicht, was sie werden wollen und legen ein Orientierungsjahr oder ein Freiwilliges Soziales Jahr ein. Die Verhältnisse haben sich geändert, und auch viele Eltern lehnen das G8 ab. Die Studierfähigkeit ist doch das Entscheidende, nicht wie viel man in der Schulzeit gelernt hat. Also zurück zu G9. Schauen Sie, wir haben einen Ministerpräsidenten, der denkt, »Maria Stuart« sei von Shakespeare, wie er neulich in Schwäbisch Hall auf dem Marktplatz verkündet hat. Und wir haben einen Innenminister, der denkt, Victor Hugo sei ein Erfrischungsgetränk. So viel zum Stand der Bildung unserer Regierungsspitze.
»Das Projekt Gemeinschaftsschule ist gescheitert«
Wie würden Sie als ehemaliger Lehrer das Problem angehe, dass der Südwesten in Bildungsrankings immer weiter durchgereicht wird?
Rülke: Bildungserfolg und soziale Herkunft zu entkoppeln, ist richtig. Um das zu gewährleisten, müssen wir aber etwa mit Spracherwerb bereits im Vorschulalter beginnen. Wir brauchen aufsuchende Sozialarbeit, mehr und bessere frühkindliche Bildung, auch in den Grundschulen. Das Konzept Gemeinschaftsschule setzt bei Zehnjährigen an. Da ist es aber zu spät. Das Projekt Gemeinschaftsschule scheint ohnehin zu scheitern. Das sage nicht ich, das sagen Lehrer dort. Wir müssen zurück zu einem vielgliedrigen, differenzierten Schulsystem. (GEA)