Sie sind abgemagert, krank oder verletzt - über zwei Millionen wilde Katzen streunen unbemerkt durch deutsche Großstädte. Dabei sind Krankheiten und Verletzungen an der Tagesordnung. Futter ist Mangelware. »Eine Katze müsste am Tag 12 bis 15 Mäuse vertilgen, um satt zu werden - das ist in städtischen Bereichen nicht möglich«, sagt die ehrenamtliche Katzenschützerin Kristina Stumpf aus Mannheim. Da die Katzen sehr scheu sind, kann man ihre Zahl nur grob schätzen. Laut Stumpf sind es in der Quadratestadt 6200 - 7500 Tiere, die über Industrieflächen und Friedhöfe oder durch Schrebergärten streifen.
Das Leid der Tiere hat in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in Städten wie Hannover, Essen und Köln zu kommunalen Katzenschutzverordnungen geführt. Nun könnte mit Mannheim die zweitgrößte Stadt im Südwesten eine solche Regelung einführen. Bisher sind es laut Landestierschutzbund nur 34 kleinere Gemeinden von Aidlingen (Kreis Böblingen) bis Wurmberg (Enzkreis), die die Novelle des Tierschutzgesetzes von 2013 nutzen. Ziel ist immer, die unkontrollierte Vermehrung von Katzen einzudämmen.
»Katzen sind keine Wildtiere, bei denen sich die Reproduktion bei verschlechterten Lebensbedingungen automatisch reduziert«, erläutert Katzenliebhaberin Stumpf. Anke Feil, Gründerin der Organisation »Politik für die Katz'«, pflichtet bei: »Katzen sind Haustiere und kommen ohne Versorgung durch den Menschen nicht gut zurecht.« Folgen sind Würmer, Flöhe oder Viruskrankheiten, die die Lebensdauer der Tiere schlimmstenfalls auf wenige Monate reduzieren, während verwöhnte Stubentiger bis zu 20 Jahre alt werden.
In der Quadratestadt ist das Thema - angestoßen durch die Linken, »Die Partei« und die Tierschutzpartei (LI.PAR.Tie.) - im Gemeinderat auf der Tagesordnung. Im Ausschuss für Ordnung und Soziales stand die Einführung einer Katzenschutzverordnung für diesen Donnerstag zur Diskussion und Abstimmung auf dem Programm. Das letzte Wort hat der Gemeinderat am 13. Dezember.
Die Fraktion LI.PAR.Tie fordert eine allgemeine Kastrations-, Chip- und Registrierungspflicht. Die Beschlussvorlage der Stadt sieht lediglich vor, dass Katzenhalter ihre Katzen per Mikrochip oder Ohrtätowierung kennzeichnen und registrieren lassen müssen, bevor sie ihnen Ausgang gewähren. Die Stadt Mannheim verteidigt ihre milde Gangart mit dem Hinweis auf die Grundrechte der Katzenhalter: »Eine Kastrationspflicht stellt einen massiven Eingriff in das grundgesetzlich garantierte Eigentumsrecht von KatzenhalterInnen dar und sollte die letzte Maßnahme sein, die getroffen wird.«
Andreas Parmentier, Stadtrat der Tierschutzpartei, ist nicht glücklich mit diesem Vorschlag, meint aber, eine abgespeckte Katzenschutzverordnung sei besser als gar keine Regelung. Man lege damit die Basis für Verbesserungen. »Da ist mir der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach.« Scheitere die Initiative, verschwinde das Thema auf Jahre in der Schublade.
Katzenschützerin Stumpf empfindet den Vorschlag als »absoluten Irrsinn.« »Der Kampf gegen das Katzenelend wird nie Erfolg haben, wenn unkastrierte freilaufende Katzen weiter zu rasanter Fortpflanzung beitragen.« Besitzer lassen in manchen Fällen ihre Tier bewusst nicht kastrieren - aus finanziellen Gründen. Nicht weil die Sterilisierung mit 300 bis 350 Euro bei weiblichen Tieren und 150 bis 200 Euro bei männlichen Tieren die Halter überfordere, wie Stumpf erklärt. Aber: »Kleine Katzen sind eine Supereinnahmequelle. Die Kitten werden für 400, 500 Euro im Netz verhökert.« Zugleich werden Welpen einfach entsorgt. So wurden jüngst sechs tote Katzenbabys in einer Plastiktüte am Straßenrand in Neustadt an der Weinstraße entdeckt.
Die Landestierschutzbeauftragte Julia Stubenbord bezeichnet den Vorschlag der Stadt als »seltsame Variante«. Sie teile auch die juristischen Zweifel an einer Kastrationspflicht für Halterkatzen nicht. »Klagen sind mir in ganz Deutschland nicht bekannt«, sagt sie an die Adresse der Stadt.
Doch die will zunächst Kastrations- und Aufklärungsaktionen vornehmen. Es gelte der Grundsatz »Einfangen, Kastrieren, Freisetzen«. Feil von »Politik für die Katz'« hält dieses Vorgehen für realitätsfern. Es brauche erstmal Menschen, die die nachtaktiven Vierbeiner fangen. Dann müsse auch eine Logistikkette mit Veterinären her. An den Gemeinderat appelliert sie, sich nicht mit »kleinen Alibi-Brocken« zu begnügen und so das jahrelange Trauerspiel fortzusetzen.
Material zur Katzenschutzverordnung
Landestierschutzbeauftragte zu Katzenschutz
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