STUTTGART. Viele Firmen, Selbstständige und Vereine schauen dem Inkrafttreten der neuen EU-Datenschutzregeln an diesem Freitag mit Sorge entgegen. Bei kleinen Unternehmen herrsche teilweise Panik, sagte der Bereichsleiter Recht und Steuern der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart, Christian Köhn. Baden-Württembergs oberster Datenschützer Stefan Brink verteidigte hingegen die neuen EU-Datenschutzregeln gegen Kritik. Es gehe um das Grundrecht der Bürger, selbst über ihre Daten bestimmen zu können, sagte Brink der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
Von diesem Freitag an gilt die Datenschutz-Grundverordnung in der EU. Damit soll im Kern die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Unternehmen, Vereine oder Behörden geregelt werden. Vielerorts werden die neuen Regeln aber als bürokratisch und undurchsichtig wahrgenommen. IHK-Bereichsleiter Köhn sagt: »Bei uns stehen die Telefone nicht mehr still. Wir bekommen seit Wochen hunderte von E-Mails.« Viele kleine Betriebe wüssten nicht, was sie konkret tun müssten. Sie hätten Angst vor den hohen Bußgeldern bei Verstößen. Die Summen können bis zu 20 Millionen Euro hoch sein oder bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes eines Unternehmens betragen.
Vor allem Kleingewerbetreibende und Menschen, die nur im Nebenerwerb geschäftlich tätig sind, seien mit der Umsetzung der neuen Regeln überfordert. »Sie wollen die neuen Regeln einhalten, wissen aber nicht, was sie tun müssen«, sagte Bereichsleiter Köhn. Die IHK hätte sich nach seinen Worten gewünscht, dass für kleine Betriebe abgestufte Datenschutzanforderungen gelten. Betroffen sind nun grundsätzlich alle, die persönliche Daten verarbeiten - ausgenommen ist der rein private Bereich.
Bei der Landesärztekammer heißt es: »Alle fürchten natürlich die angedrohten Strafzahlungen im Falle eines Vergehens.« Der Unmut unter den Ärzten sei sehr groß, weil bürokratische Regelungen die Abläufe in den Praxen störten und Zeit fräßen, sagte Sprecher Oliver Erens. Diese Zeit gehe dann ab für die Behandlung von Patienten.
Sportvereine tun sich ebenfalls schwer mit den neuen Regeln, wie der Sprecher des Württembergischen Landessportbundes, Thomas Müller, in Stuttgart sagte. »Man muss als Organisation seine Prozesse durchleuchten: Wo werden Daten verarbeitet und angefasst und wie wird das dokumentiert?« Das sei für Vereine, in denen ehrenamtlich gearbeitet wird, ein immenser Aufwand. »Das Ganze kostet Zeit und Nerven. Unsere Ehrenamtlichen wollen sich ja eigentlich darum kümmern, Sport und Geselligkeit zu organisieren.«
So prüft man beim TUS Stuttgart noch, ob die Akten der 5000 TUS-Mitglieder frei in einem abschließbaren Raum stehen dürfen, oder ob diese in einen abschließbaren Stahlschrank müssen. Die Aufnahmeanträge für Mitglieder sind neu formuliert worden, um die Einwilligung zur Datenverarbeitung gleich mit zu regeln, wie Sprecher Dirk Welsch sagte. Von älteren Mitgliedern müsse die Einwilligung vermutlich nachträglich eingeholt werden. Zudem baut der TUS gerade ein Notfallmanagement für mögliche Datenschutzpannen auf.
Allein im Württembergischen Landessportbund sind rund 5700 Vereine organisiert - in ganz Baden-Württemberg gibt es 11 400 Sportvereine.
Datenschützer Brink hält die neuen Regeln für gerechtfertigt. »Da ist in Jahrzehnten etwas eingerissen«, sagte er mit Verweis darauf, dass viele Bürger ungebetene Werbung von Unternehmen bekommen. Wer jetzt über zu viel Bürokratie klage und in Aussicht stelle, dass die Regeln in Deutschland noch überarbeitet werden könnten, der sorge für eine große Verunsicherung bei den Firmen. Brink bezog sich auf eine Äußerung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die teils so verstanden worden war, als sehe Merkel bereits Nachbesserungsbedarf. Später ließ sie über ihren Regierungssprecher erklären, dass die Bundesregierung keine kurzfristigen Änderungen an den neuen Datenschutzregeln plant.
In Baden-Württemberg kontrolliert der Landesdatenschutzbeauftragte die Einhaltung. Er berät Betroffene und Bürger und kann auch Bußgelder verhängen. Auch die Landesdatenschutzbehörde arbeitet derzeit am Anschlag, wie Brink sagt. »Es melden sich Vereine, die Unterstützung haben wollen. Bürger wollen über ihre Rechte beraten werden und bitten uns um Unterstützung, wenn es darum geht, Auskünfte über die Verarbeitung ihrer Daten bei Unternehmen zu bekommen.« .
Fragen und Antworten der EU-Kommission I
Datenschutz-Grundverordnung - Gesetzestext
Datenschutzbeauftragter der Bundesregierung zur Datenschutz-Grundverordnung
Homepage der EU-Kommission zur Datenschutz-Grundverordnung
Leitfaden der EU-Kommission zur Datenschutz-Grundverordnung