STUTTGART. Ist Pendeln die Lösung? Alljährlich fragt das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) im Auftrag der Postbank, ob es sich in den großen Ballungszentren der Republik lohnt, ins Umland zu ziehen. Ermittelt wird das anhand von zwei 70 und 120 Quadratmeter großen Vergleichswohnungen – und einer ganzen Reihe zusätzlich zu berücksichtigender Faktoren.
Um es vorwegzunehmen: Bewertet man die Situation ausschließlich anhand der vorliegenden Zahlen des HWWI, gibt es – zumindest für die Region Stuttgart – nur einen Rat: Finger weg vom Kauf einer Wohnung außerhalb des Stadtgebiets! Denn oft dauert es nur wenige Monate, bis der Preisvorteil aufgebraucht ist.
Wohnen im Umland billiger
Grundsätzlich gehen die Wissenschaftler von der Annahme aus, dass Wohnen im Umland deutlich billiger ist als in der Metropole und dass es sich also durchaus lohnen kann, ein paar Kilometer weiter ins Umland zu ziehen. Allerdings müssen Menschen, die sich für das Wohnen im Speckgürtel entscheiden, höhere Fahrtkosten und längere Anreisen in Kauf nehmen. So veranschlagt das HWWI nicht nur Benzinkosten, sondern berechnet pro Stunde zusätzlicher Fahrtzeit rund 31 Euro extra. So summieren sich diese Zusatzkosten im Lauf der Jahre zu erheblichen Beträgen.
Dabei gehen die Forscher davon aus, dass ein Normalbürger mit 40 Jahren eine Immobilie erwirbt und von dieser aus dann bis zur Rente mit 65 Jahren den Arbeitsplatz ansteuert. Sprich: Wenn die Gesamtrechnung nach 25 Jahren immer noch zugunsten der Wohnung im Umland ausfällt, lohnt sich das Pendeln.
Wenn allein dieses Kriterium zugrunde gelegt wird, fällt die Bilanz für Pendler, dabei vor allem für Käufer von kleinen Wohnungen in der Region Stuttgart, geradezu desaströs aus. Denn in keiner anderen Wirtschaftsregion Deutschlands ist der Preisunterschied für Immobilien zwischen Metropole und den umliegenden Städten so gering wie in Stuttgart. Deshalb gibt es auch keine andere Region, in der der Pendlervorteil derart schnell aufgebraucht ist. In Düsseldorf beispielsweise liegt der Unterschied zwischen Stadtgebiet und den umliegenden Städten pro Quadratmeter durchschnittlich bei 2.200 Euro und in Berlin bei 1.700 Euro. In Stuttgart, wo das HWWI 2022 einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 5.416 Euro ermittelt hat, beträgt das Gefälle zwischen Stadt und Region lediglich durchschnittlich 900 Euro.
Wohnen nahe S-Bahn-Station
Wenn man dann noch berücksichtigt, dass Pendler möglichst nah an der S-Bahn-Station wohnen wollen, der Preis dort aber rund 20 Prozent höher ist als in S-Bahn-fernen Baugebieten, ist der Unterschied sogar nur noch marginal. Bei Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) gibt es in der gesamten Region lediglich vier von den 26 Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern, in denen sich der Kauf einer 70 Quadratmeter großen Wohnung mehr als zehn Jahre lang lohnt: Ebersbach an der Fils liegt hier mit 16,3 Jahren vorn, gefolgt von drei weiteren Städten aus dem Kreis Göppingen.
Der Pendlervorteil in Göppingen ist nach 13,9 Jahren, in Geislingen und Eislingen nach jeweils 10,3 Jahren aufgebraucht. Noch niederschmetternder fällt die Bilanz bei Nutzung des eigenen Wagens aus. Auch hier liegt Ebersbach vorne – mit 7,7 Jahren. Ein echtes Kaufargument ist das gewiss nicht. In nahezu der Hälfte der 26 Städte wie Kirchheim, Böblingen, Leonberg oder Ludwigsburg müssen die Besitzer sogar bereits binnen Jahresfrist fürs Pendeln draufzahlen.
Während die Forscher bei einer 70-Quadratmeter-Wohnung davon ausgehen, dass die Käufer selten oder nie im Homeoffice arbeiten, haben sie beim Vergleich von 120-Quadratmeter-Wohnungen einen Homeoffice-Effekt mit zwei Tagen Heimarbeit pro Woche eingerechnet. Immerhin schaffen es so fünf Städte über die 25-Jahr-Grenze. Auch hier liegt Ebersbach mit beachtlichen 44,8 Jahren vorne, gefolgt von Göppingen (38,5 Jahre) Geislingen und Eislingen (jeweils 28,9 Jahre) und Fellbach (26,4 Jahre). Ohne den Homeoffice-Vorteil schafft aber nur Ebersbach mit 27,9 Jahren das vorgegebene Ziel. Auch hier gilt: Diese vergleichsweise guten Zahlen gelten nur bei Nutzung des ÖPNV. Wer nicht auf sein Auto verzichten mag, muss deutlich früher mehr zahlen.
Zurückhaltendes Fazit
Entsprechend zurückhaltend fällt das Fazit des Postbank-Immobilienexperten Frank Boes aus: »Der Speckgürtel Stuttgarts ist im Vergleich zu allen anderen Metropolregionen in Deutschland eher ungeeignet für kleinere Haushalte, die sich einen Preisvorteil vom Umzug erhoffen.« Sein Rat: »Immobilieninteressierte sollten sich den Wohnungskauf im Umland keinesfalls schönrechnen.« (GEA)
POSTBANK-WOHNATLAS
Der Postbank Wohnatlas ist eine jährlich erscheinende, mehrteilige Studienreihe, die den deutschen Immobilienmarkt unter verschiedenen Aspekten regional und bis auf Kreisebene beleuchtet. Die vorliegende Analyse zur Immobilienmarktbewertung der größten Umlandstädte der Region Stuttgart aus Sicht von Berufspendlern ist der siebte Studienteil des diesjährigen Wohnatlas. (GEA)
PENDLER IN BADEN-WÜRTTEMBERG
3,8 Millionen Menschen pendeln im Südwesten zur Arbeit
Die Zahl der Pendler in Baden-Württemberg nimmt zu. Im vergangenen Jahr fuhren 3,81 Millionen Menschen über die Grenzen ihres Wohnortes hinweg zur Arbeit, wie das Statistische Landesamt mitteilte. Ein Zuwachs von 1,5 Prozent. Rund 2,26 Millionen Personen arbeiteten in der Gemeinde, in der sie auch wohnten. Drei der 20 einpendelstärksten deutschen Städte lagen im vergangenen Jahr im Südwesten: Stuttgart mit 312.000 Einpendler, gefolgt von Mannheim (137.300) und Karlsruhe (130.400). Auch die Stadt Reutlingen (41.010) und die Universitätsstadt Tübingen (39.799) zogen viele Beschäftigte aus anderen Gemeinden an. (dpa)