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Nach Mord vor über 27 Jahren: Gericht muss erneut urteilen

Mit etlichen Stichen wird eine Frau getötet. Der Täter, ein heute 72 Jahre alter Mann, wird weit mehr als ein Vierteljahrhundert später wegen Mordes verurteilt. An seiner Schuld gibt es keine Zweifel. Aber war es Mord? Das wird nun das Gericht entscheiden.

Gerichtssaal
Das Strafgesetzbuch und Akten liegen in einem Gericht auf dem Tisch. Foto: Swen Pförtner
Das Strafgesetzbuch und Akten liegen in einem Gericht auf dem Tisch.
Foto: Swen Pförtner

Vor mehr als einem Vierteljahrhundert sorgte die Gewalttat an einer Frau in Sindelfingen für Aufsehen, jahrelang suchten die Ermittler erfolglos nach einem Täter und wurden schließlich fündig. Nun muss ein Gericht nach dreimonatigem Prozess erneut ein Urteil über den Täter fällen.

Anders als von früheren Prozessen wird aber nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Nebenklage auch die Verteidigung ihre Auslegungen an diesem Donnerstag (09.00) hinter verschlossenen Türen formulieren. Der Grund: Eine nicht öffentlich gemachte Zeugenaussage könnte in den Plädoyers eine Rolle spielen. Ein Urteil werde aber auf jeden Fall - und möglicherweise noch am selben Tag - öffentlich verkündet, sagte ein Sprecher des Landgerichts.

Die Anklagevertreter und die Nebenklage hatten eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes gefordert. Die Nebenklage will zudem die besondere Schwere der Schuld festgestellt haben. Der Täter könnte dann nur in einem Ausnahmefall schon nach 15 Jahren freikommen.

Der 72-Jährige sitzt bereits zum zweiten Mal wegen desselben Falls auf der Anklagebank. Der Rentner war im Juli 2021 bereits vom Landgericht Stuttgart zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hatte 1995 eine Frau an einem S-Bahnhof angegriffen und erstochen, das steht aus Sicht der Justiz auch weiterhin fest. Der Mann konnte mit seiner Revision aber den Bundesgerichtshof überzeugen, der zwar von seiner Schuld überzeugt ist, das Urteil aber aufhob und den Fall an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwies.

In dem reinen Indizienprozess mit einem konsequent schweigenden Angeklagten sei das Mordmerkmal der Heimtücke nicht ausreichend belegt worden, hatte der BGH moniert. Und auch nach dem mehrmonatigen zweiten Prozess vor einer anderen Kammer des Landgerichts dürfte unklar bleiben, was genau passierte, bevor das damals 35 Jahre alte Opfer starb. Sollte das Gericht die Tat nicht als Mord, sondern zum Beispiel als Totschlag bewerten, wäre die Strafe nach deutschem Recht nach 20 Jahren verjährt. Selbst ein überführter Täter kann dann nach mehr als 20 Jahren nicht mehr bestraft werden, der 72-Jährige würde den Gerichtssaal als freier Mann verlassen.

Er war damals erst überführt worden, nachdem ihm DNA-Spuren unter den Fingernägeln des Opfers zugeordnet werden konnten. Nach dem früheren Urteil hatte der Mann die 35-Jährige auf ihrem Heimweg von der Arbeit angegriffen und getötet. Eine nach der Tat gegründete Sonderkommission hatte den Mann bereits früh im Visier - doch die Ermittlungen blieben zunächst erfolglos. Erst 2018 erhärtete der DNA-Treffer den Verdacht gegen den in Norddeutschland geborenen Mann.

Der erste Prozess gegen den tief gefallenen Ex-Manager hatte damals für allerlei Schlagzeilen gesorgt. Etliche Verhandlungstermine, Dutzende Zeugen, zudem Aussagen von Menschen, die mittlerweile im Ausland leben - und all das in Zeiten von Corona. Außerdem war die Aktenlage katastrophal, Beweisstücke fehlten, einige Zeugen waren verstorben, andere hatten Erinnerungslücken - und das in einem Prozess, der komplett auf Indizien basierte, in dem der Angeklagte konsequent schwieg und es auch im neuen Prozess weiter tat.

Ein unbeschriebenes Blatt war er bei Polizei und Justiz da schon lange nicht mehr: 2007 hatte ihn das Landgericht Würzburg bereits wegen Totschlags an einer Anhalterin aus Obersontheim (Kreis Schwäbisch Hall) verurteilt - auch damals erst im zweiten Anlauf nach einem Freispruch im ersten Prozess.

Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft

Beschluss des BGH

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