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Miese Stimmung bei Lehrern: Viele kennen Gewalt an Schulen

Ein Jahr ist es her, da zogen die Schulleiter eine bittere Bilanz. Denn die Fülle ihrer Aufgaben wächst, doch die Zeit, sie zu erfüllen, nimmt nicht entsprechend zu, bemängeln sie. Das frustriert. Nun liegt eine neue Umfrage vor - und die macht erst recht Sorgen.

Leeres Klassenzimmer
Stühle stehen auf Tischen in einem leeren Klassenzimmer einer Realschule. Foto: Philipp von Ditfurth
Stühle stehen auf Tischen in einem leeren Klassenzimmer einer Realschule.
Foto: Philipp von Ditfurth

Die Belastung aus den Corona-Zeiten ist zwar gesunken. Dennoch sind die Schulleitungen in Baden-Württemberg nach einer Umfrage so unzufrieden wie nie zuvor. »Noch nie stand es um die Berufszufriedenheit an den Schulen schlechter«, sagte der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, dessen Dachorganisation die jährliche Erhebung beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben hatte.

Mehr als drei von vier Schulleitungen klagen laut der Umfrage »Die Schule aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter«, die am Freitag in Stuttgart vorgestellt wurde, über unbesetzte Stellen. Das sind deutlich mehr als in den vergangenen Jahren. Zahlreiche weitere monieren demnach einen Berg von Arbeit oder enormen Zeitmangel. Auch der Druck durch die Eingliederung von Kindern mit einer Behinderung (Inklusion) und die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen gehören zu täglichen Problemen in den Schulen.

Alarmierend sind aber vor allem die Aussagen zur Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer. Denn laut Umfrage bezeichnet weit mehr als die Hälfte der Schulleitungen (56 Prozent) den Umgang mit dem Thema als Tabu, das ist ein fast doppelt so hoher Anteil wie noch im Jahr 2020 (29). Jede vierte Schulleitung kennt aus den vergangenen fünf Jahren mindestens einen Fall, in dem eine Lehrkraft körperlich angegriffen wurde. Insgesamt 59 Prozent der Schulleitungen berichten von Fällen direkter Gewalt in den letzten fünf Jahren, also von Beschimpfungen, Drohungen, Beleidigungen, Mobbing oder Belästigung. »Dieser Befund ist erschreckend«, sagte VBE-Landeschef Brand. »Aber er bildet die Realität an unseren Schulen ab.«

Auf Eltern geht laut Umfrage etwa jeder zweite Fall (51) von psychischer Gewalt über das Internet zurück, für Fälle von direkter psychischer Gewalt in den vergangenen fünf Jahren sind nach Angaben der Schulleitungen sogar meistens (81) die Väter und Mütter verantwortlich. Fast komplett von Schülerinnen und Schülern ging dagegen in den vergangenen Jahren die physische Gewalt gegen Lehrkräfte aus (96).

Der VBE erklärt das Ausmaß der Gewalt mit der Lage an den Schulen. »Die Bedingungen stimmen einfach nicht«, sagte Brand. Es gebe zu viele Kinder in zu kleinen Klassenzimmern mit Lehrkräften, die wegen der Personalnot und der wachsenden Aufgabenfülle völlig überlastet seien. »Die desolate Situation an den Schulen gefährdet nicht nur die Unterrichtsqualität und Chancengleichheit, sondern ebenso die psychische und körperliche Unversehrtheit des pädagogischen Personals«, sagte Brand.

Der Lehrermangel steht bei 77 Prozent der Schulleitungen an erster Stelle der Liste mit den größten Problemen im Schulalltag. Im vergangenen Jahr waren das noch 52 Prozent, wie die Umfrage zudem ergibt. Rund 44 Prozent der Schulleitungen bemängeln die hohe Arbeitsbelastung oder den Zeitmangel (2021: 38), 28 Prozent machen Probleme durch Inklusion und Integration zu schaffen - ein doppelt so hoher Anteil wie im vergangenen Jahr. »Deutlich seltener werden derzeit alle mit der Corona-Pandemie beziehungsweise den Corona-Maßnahmen zusammenhängenden Themen als Probleme gesehen«, heißt es in der Umfrage.

Aber was genau belastet die Schulleitungen so sehr? Ein zunehmend wachsender Aufgabenzettel setzt fast alle (99 Prozent) stark oder auch sehr stark unter Druck, das gilt auch für die steigenden Verwaltungsarbeiten (98), für ein mangelndes Zeitbudget (96) und für Politikerinnen und Politiker, die aus Sicht der Schulleitungen den tatsächlichen Schulalltag nicht ausreichend beachten, wenn sie Entscheidungen treffen (96). Genannt wird auch sehr oft der Anspruch, die Schule solle alle aufkommenden gesellschaftlichen Probleme lösen (94).

Das Ergebnis: 42 Prozent der Schulleitungen geben an, nur gelegentlich oder sogar nie ihren Beruf zu ihrer eigenen Zufriedenheit zu erfüllen, das ist ein fast doppelt so hoher Anteil wie 2019, allerdings auch etwas weniger als im vergangenen Jahr (46).

Um die Aufgaben als Schulleitung besser erledigen zu können, schlagen die Rektorinnen und Rektoren Anrechnungsstunden vor (98) und mehr Zeit, um die Schule zu leiten (96). Die Schulen müssten besser mit pädagogischen Fachkräften in sogenannten multiprofessionellen Teams ausgestattet werden (95). Hilfreich oder sehr hilfreich sei auch eine Stellvertretung (90).

Überraschend: Trotz der Probleme stehen 74 Prozent der befragten baden-württembergischen Rektorinnen und Rektoren gerne an der Spitze ihrer Schulen (2021: 67). Das sind allerdings auch deutlich weniger als vor Beginn der Corona-Pandemie. Weiterempfehlen würde nur noch weniger als jeder zweite Rektor und jede zweite Schulleiterin den einstigen Berufswunsch (45). Vor vier Jahren - im Jahr 2018 - hätten noch 70 Prozent der Schulleitungen in Baden-Württemberg ihren Beruf uneingeschränkt oder zumindest nahezu uneingeschränkt weiterempfohlen.

Weniger erstaunlich fällt dagegen das Zeugnis aus, das die Rektorinnen und Rektoren der Schulpolitik des Landes ausstellt: Bei 54 Prozent der Schulleitungen wäre sie mit einer Note 5 oder 6 akut »versetzungsgefährdet«. Der Notendurchschnitt liegt bei lediglich 4,5 - das ist der schlechteste Wert seit 2018.

© dpa-infocom, dpa:221111-99-474293/3