Das Kernkraftwerk Neckarwestheim (GKN II) im Landkreis Heilbronn könnte theoretisch länger als geplant am Netz sein und noch bis ins kommende Jahr hinein laufen. »Die Brennstäbe könnten bis Februar halten, mit 50 Prozent weniger Leistung«, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums auf Nachfrage. Zuvor hatten die »Badischen Neuesten Nachrichten« (Samstag) darüber berichtet und sich auf Berechnungen bezogen, die der Landesregierung dazu vorlägen.
»Das ist rein hypothetisch«, betonte der Sprecher. Die Berechnungen dienten nur als Hintergrundinfo für Umweltministerin Thekla Walker (Grüne). »Wir haben immer noch die gleiche Haltung zur Atomkraft und halten eine Verlängerung für nicht notwendig.« Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke forderte Walker am Sonntag auf, von der Möglichkeit einer längeren Laufzeit Gebrauch zu machen. »Die Haltung der Grünen zur Kernenergie ist rein ideologisch«, sagte er.
Walker hatte sich bisher stets gegen eine Wiederbelebung der Atomkraft ausgesprochen. Angesichts des Krieges in der Ukraine und der sich zuspitzenden Energiekrise war zuletzt immer wieder über eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler diskutiert worden. Man befinde sich in einer dynamischen Lage, sagte dazu ein Regierungssprecher. Man sei auf der Linie von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Dieser hatte zuletzt erklärt, dass ein Weiterbetrieb der Kraftwerke über das Ausstiegsdatum des 31. Dezember hinaus auch aus Sicherheitsgründen nicht verantwortbar wäre.
In Baden-Württemberg ist nur noch Block II in Neckarwestheim am Netz. Er muss laut Atomgesetz, ebenso wie die anderen zwei in Deutschland noch aktiven Kernkraftwerke, spätestens zum Jahresende abgeschaltet werden. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz betonte am Sonntag, dass das »Nein« zur Verlängerung auf rein sachlichen Gründen beruhe. »Atomkraftwerke können nicht einfach ein- und ausgeschaltet werden wie eine Stereoanlage.«
Der Betreiber, der Karlsruher Energieversorger EnBW, hatte in der Vergangenheit einer Laufzeitverlängerung ebenfalls eine Absage erteilt und dabei auch auf die Gesetzeslage verwiesen. »Eine Änderung des Atomgesetzes streben wir nicht an«, sagte der Sprecher des Stuttgarter Umweltministeriums.
Das Kraftwerk hatte gerade erst seinen letzten Sicherheitscheck vor der endgültigen Abschaltung hinter sich gebracht und ist seit dem vergangenen Freitagabend wieder am Netz. In den Wochen davor waren rund 2000 Prüf- und Instandhaltungsarbeiten gemacht worden - auch etwa an Turbinen oder Generatoren und im Maschinenhaus. Anders als in den Vorjahren wurden keine neuen Brennelemente mehr in den Reaktordruckbehälter eingesetzt, hatte EnBW am Samstag mitgeteilt. »Vielmehr wurde der Reaktor mit den vorhandenen Brennelementen so bestückt, dass eine Stromproduktion bis zum Ende der gesetzlich definierten Laufzeit möglich ist.«
Bei dieser letzten Revision waren auch wieder Risse in Rohren entdeckt worden: Bei 35 der rund 16.400 überprüften Heizrohre fand man laut EnBW »geringfügige Schwächungen der Wanddicke«. Die Rohre seien stabilisiert und verschlossen worden.
© dpa-infocom, dpa:220625-99-795641/3