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Meiler an, Meiler aus? Offener Disput um Atomkraft

Atomkraft, ja bitte? Die CDU will die paar Meiler, die es noch gibt, ein wenig länger am Netz lassen, weil Deutschland in die Energiekrise schlittert. Der Ministerpräsident hält davon gar nichts.

Winfried Kretschmann
Winfried Kretschmann (Bündnis90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg spricht. Foto: Stefan Puchner
Winfried Kretschmann (Bündnis90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg spricht.
Foto: Stefan Puchner

Im Streit um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit eindringlichen Worten vom eigenen Koalitionspartner distanziert. »Mit Überschriften allein kommt man da nicht weiter«, reagierte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart auf ein Positionspapier der Landes-CDU. »Es geht einfach nicht, wie die CDU sich das vorstellt.«

Die CDU in Baden-Württemberg hatte sich zuvor wegen der drohenden Energie-Knappheit im Winter für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland ausgesprochen. Zwar halte man grundsätzlich am beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie fest, heißt es in dem Positionspapier des CDU-Landesvorstands mit dem Titel »Kollaps vermeiden, Ziele erreichen« zur Energiepolitik. »Angesichts der drohenden Notsituation darf aber in dieser Krise auf bestehende Kapazitäten, die sicher erzeugt werden können, nicht verzichtet werden.« Es sei falsch, in dieser Lage die drei verbliebenen deutschen Meiler - darunter Neckarwestheim II im Kreis Heilbronn - zum Jahresende abzuschalten.

CDU-Landeschef und Vizeregierungschef Thomas Strobl sagte am Montag, die Versorgungssicherheit für diesen Winter müsse Priorität haben. Die Südwest-CDU hielt der Bundesregierung vor, eine längere Laufzeit nicht wie versprochen ergebnisoffen geprüft zu haben - trotz der absehbaren Folgen für die russischen Energielieferungen durch den Ukraine-Krieg. »Über einen befristeten Weiterbetrieb über das Jahresende hinweg muss jetzt entschieden werden«, heißt es in dem Positionspapier. Die Union erinnerte daran, dass der Meiler in Neckarwestheim ein Sechstel des Stroms in Baden-Württemberg produziere. Darauf könne im Winter, in dem nach Einschätzung der Bundesregierung eine Energie-Notlage drohe, nicht verzichtet werden.

Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) jedoch hatte erklärt, dass sie eine Verlängerung der Laufzeit nicht für nötig halte. Sie ist da auf einer Linie mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der einen längeren Betrieb der AKW auch aus Sicherheitsgründen nicht für verantwortbar hält.

Im Winter drohe eine Gasmangellage, sagte Kretschmann am Dienstag, keine Strommangellage. »Atomkraftwerke produzieren bekanntlich Strom und kein Gas«, sagte er. Nun gelte es, sich so gut wie möglich für den Winter zu wappnen. Entscheidend sei, dass die Gasspeicher gefüllt seien. Zusätzliche Öl- und Kohlekraftwerke könnten die Lücke eher füllen als Atomkraftwerke. Das Problem werde man nicht durch eine Laufzeitenverlängerung lösen können.

Zudem führte Kretschmann unter anderem Sicherheitsprobleme an. Da dürfe es keine Abstriche geben. Manche Überprüfungen seien nicht mehr gemacht worden, weil man davon ausgegangen sei, dass die Kraftwerke sowieso abgeschaltet würden. Die letzte periodische Überprüfung des Atomkraftwerks Neckarwestheim sei 2009 durchgeführt worden. Man könne die Laufzeiten nicht einfach beliebig verlängern.

Er habe auch mit EnBW-Chef Frank Mastiaux gesprochen, sagte Kretschmann. Die Energieversorger seien in der Hinsicht aufs Abschalten eingestellt. Zudem gebe es Personalschwierigkeiten und Probleme rechtlicher Natur. Selbst wenn man die Sicherheitsprobleme lösen könnte, helfe das nicht mehr für den Winter, es sei ein extrem schwieriges Unterfangen. Daher müsse die Antwort sein, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen.

Die Opposition reagiert sehr unterschiedlich, aber sowohl SPD als auch FDP kritisieren die Uneinigkeit innerhalb der Landesregierung. »Atomkraftwerke lösen keines der Probleme, die wir haben«, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. »Sie heizen nicht, sie sind zu unflexibel und sie können die Schwankungen bei der Nutzung erneuerbarer Energien kaum ausgleichen.« Die CDU bringe Ideen von vorgestern.

Für die FDP gefährdet die Regierung mit dem »unsinnigen Streit« die Versorgungssicherheit. Die Haltung der Grünen zur Kernenergie sei rein ideologisch, meint der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Frank Bonath. Noch dazu sei das Argument des Ministerpräsidenten, dass die Kernenergie bei der drohenden Gasmangellage nicht weiterhelfen werde, falsch. In 2021 lag in Deutschland der Anteil von Erdgas an der Stromerzeugung bei 12,6 Prozent, in 2020 sogar noch bei 13,7 Prozent. »Wir müssen in der aktuellen Krisensituation jede Möglichkeit nutzen, Erdgas zu ersetzen.«

© dpa-infocom, dpa:220628-99-830546/4