Volksverhetzung, Schmierereien, Gewalt bis hin zum Terror: Die Zahl religiös motivierter Straftaten ist im vergangenen Jahr merklich gestiegen, darunter waren auch mehr Gewaltdelikte. Das Innenministerium verzeichnete 50 solcher Fälle im Jahr 2021, im Vorjahr waren es noch 41 Fälle, wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag erfuhr. Darunter waren fünf Gewaltdelikte, 2020 wurde nur ein Gewaltdelikt verzeichnet. Der Schwerpunkt der sogenannten »Politisch Motivierten Kriminalität - religiöse Ideologie« liegt nach Angaben des Ministeriums im Bereich des Terrorismus, gefolgt von Delikten der Volksverhetzung und Gewaltdarstellung sowie Nötigung und Bedrohung.
»Die Fälle bewegen sich zwar noch auf einem niedrigen Niveau«, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU). Dies dürfe aber nicht über die anhaltend hohe Gefahr islamistisch motivierter Terroranschläge in Deutschland hinwegtäuschen. »Jihadistische Organisationen versuchen seit Jahren, Anschläge in Deutschland zu begehen und Einzeltäterinnen und -täter dafür zu gewinnen.« Die Bedrohung durch Terrorismus sei nicht vorbei, warnte Strobl - auch anlässlich des nationalen Gedenktags für Opfer terroristischer Gewalt am 11. März. »Wir dürfen die Opfer, das unendliche Leid, die Spur der Zerstörung, die Terroranschläge auch bei uns hinterlassen haben, nicht vergessen.«
Am Freitag wird erstmals mit einem neuen nationalen Gedenktag an Terroropfer erinnert, unter anderem mit Trauerbeflaggung an allen Dienstgebäuden des Bundes. Das hatte das Bundeskabinett vor kurzem beschlossen. »Der Islamismus, er ist nicht weg, gefühlt scheint er - für diesen Moment - zwar in der öffentlichen Aufmerksamkeit in den Hintergrund gerückt zu sein, aber er ist genauso real und gefährlich, wie er es seit über einem Jahrzehnt ist«, warnte Strobl. Die Gesellschaft müsse sich der Herausforderung weiter entgegenstellen.
Mit Stand März 2022 wird in Baden-Württemberg eine hohe zweistellige Anzahl von Personen als Gefährder eingestuft. Strobl verwies auf zahlreiche Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen Terrorismus. So habe das Land im Juli 2020 einen ehrenamtlichen Opferbeauftragten der Landesregierung eingesetzt und eine zentrale Anlaufstelle für Opfer von Terroranschlägen, Amokläufen und Großschadensereignissen eingerichtet. Gefährder würden intensiv überwacht, das Kompetenzzentrum gegen Extremismus (konex) soll einer Radikalisierung vorbeugen und Menschen mit einer extremistischen Gesinnung nach Möglichkeit aus der Szene holen.
Die Zahl rechter Straftaten in Baden-Württemberg ist zuletzt zurückgegangen. Das Innenministerium verzeichnete im vergangenen Jahr einen Rückgang von 5,5 Prozent auf 1524 Fälle. 2020 waren es noch 1613 Fälle. Es handelte sich laut Ministerium vor allem um sogenannte Propagandadelikte, beispielsweise das Sprühen von Hakenkreuzen auf Wände, Volksverhetzungen und Beleidigungen. Auch die rechten Gewaltdelikte gingen 2021 von 40 auf 30 zurück. Das Wahlkampfgeschehen habe sich in 2021 nur leicht auf diesen Phänomenbereich ausgewirkt, hieß es.
»Wir arbeiten hart im Kampf gegen rechtsextreme Gewalt, wir sind hier auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel«, sagte Strobl der dpa. »Nicht zuletzt ist die Gefahr rechtsextremer Gewalt oder gar von Anschlägen auch deshalb erhöht, weil das rechtsextreme Spektrum eine besonders hohe Affinität zu Waffen hat.« Deshalb nehme man die Szene besonders in den Blick - selbstradikalisierte Einzeltäter ebenso wie mögliche Netzwerke.
Insgesamt ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr mit zwei wichtigen Wahlen und einer aufgeheizten gesellschaftlichen Atmosphäre in der Pandemie deutlich gestiegen. Wahlen und Pandemie hätten Tatanreize und Tatgelegenheiten für politisch motivierte Straftaten geboten, hatte Strobl zum Jahreswechsel gesagt. Das habe es 2020 nicht oder noch nicht in dieser Form und Dimension gegeben.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Oliver Hildenbrand, forderte in dem Zusammenhang schärfere Waffengesetze. »Wir müssen sicherstellen, dass Extremisten keinen Zugang zu Waffen haben und konsequent entwaffnet werden«, sagte er. »Jede Waffe in den Händen von Extremisten ist eine Gefahr für unsere offene und vielfältige Gesellschaft.«
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