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Mann kommt nach Gewalttat auch nach der Haft nicht frei

Ein Mann bringt seine Mutter um und sitzt die Strafe jahrelang ab. Aber nach dem Ende der Haft kommt er nicht frei, im Gegenteil. Für die Justiz sind solche Sicherungsverwahrungen kniffelig. Das gilt vor allem, wenn sie im Nachhinein angeordnet werden - wie nun in Stuttgart.

Justitia
Eine Figur der blinden Justitia. Foto: Wurtscheid/dpa
Eine Figur der blinden Justitia.
Foto: Wurtscheid/dpa

Es passiert selten, dass ein Angeklagter und der Staatsanwalt einer Meinung sind. Im jüngsten Prozess um den gewaltsamen Tod einer Frau in Mötzingen vor mehr 14 Jahren ist das aber der Fall. Denn der Sohn der Frau, ein heute 54-Jahre alter Mann, gilt auch lange nach seiner Verurteilung wegen Totschlags und einer abgesessenen Strafe als gefährlich und kommt nicht aus der Haft frei. Das Stuttgarter Landgericht ordnete am Mittwoch eine nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen ihn an.

»Wir können letztlich eine sichere Prognose machen«, zeigte sich der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer zum Abschluss der fünfmonatigen Verhandlung überzeugt. Der Mann aus Mötzingen (Kreis Böblingen) habe während seiner Haft in vier Justizvollzugsanstalten immer wieder gezeigt, dass er sich nicht in soziale Strukturen einfügen könne und wolle. Er habe die Arbeit verweigert, habe ein schwieriges Verhältnis zu Frauen und sei wiederholt handgreiflich auch gegen Justizbeamte gewesen. Gleich mehrere hatten als Zeugen ausgesagt, bespuckt, beleidigt und angegriffen worden zu sein. Er müsse dringend einer Therapie zustimmen, forderte ihn der Richter auf.

Der angeklagte Künstler hatte 2007 gestanden, seine Mutter mit einem Bildhauer-Schlegel erschlagen zu haben, weil sie ihm nicht wie gewohnt Geld gegeben habe. Der Richter hatte den Angeklagten daraufhin als »seelisch abartigen Sonderling« bezeichnet, ein Gutachter attestierte ihm im damaligen Prozess eine schwere Persönlichkeitsstörung mit einem Defizit an Einfühlungsvermögen und narzisstischen Zügen.

Im neuen Stuttgarter Verfahren wichen zwei forensische Sachverständige nicht wesentlich von der vernichtenden Prognose für den heute 54-jährigen Mann ab. Die Gefahr, dass er erneut brutal werde, sei »dramatisch hoch«. Frustrationen und weitere Konflikte mit unbeteiligten Dritten seien programmiert - »vor allem, weil es für ihn nach einer Entlassung keinen sozialen Empfangsraum gibt und er in der untauglichen Umgebung der Sozial- und Obdachlosenhilfe landen würde«, hatte einer der beiden gesagt. Der Mann sei kein Fall für die Freiheit.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hatte daraufhin erneut die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung beantragt - und sie war damit nicht allein. Denn in seinem letzten Wort hatte sogar der angeklagte Künstler vor Gericht gesagt, er sehe in der Freiheit keine Chance für sich und stimme einer solchen Entscheidung zu. Aus Sicht seines Verteidigers liegen hingegen die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung nicht vor.

Die Sicherungsverwahrung verhängen deutsche Gerichte anders als die Haft nicht als Strafe, sondern als präventive Maßnahme. Sie soll vor Tätern schützen, die ihre Strafe für ein besonders schweres Verbrechen bereits verbüßt haben, aber weiter als gefährlich gelten.

Eine Sicherungsverwahrung im Nachhinein ist im deutschen Recht hochumstritten. Sie wird erst angeordnet, wenn der Betroffene bereits verurteilt ist und in Haft sitzt. Es müssen aber eine hochgradige Gefahr für schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten sowie eine psychische Störung vorliegen. Zudem muss der Verwahrte jedes Jahr untersucht werden, und die Unterbringung muss sich deutlich von der Strafhaft unterscheiden.

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