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»Machtmissbrauch«? Strobl sieht keinen Handlungszwang

Immer heftiger werden die Vorwürfe im Untersuchungsausschuss zu den Beförderungspraktiken bei der Polizei. Selbst Grüne und CDU sprechen mittlerweile von strukturellem »Machtmissbrauch« und einem »dysfunktionalen« System. Der Druck auf den Innenminister wächst.

Thomas Strobl
Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, spricht im Landtag. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, spricht im Landtag.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

Trotz der Schilderungen gravierender Missstände im Beförderungssystem der Polizei sieht Innenminister Thomas Strobl keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für sein Haus. Die Aussagen müsse der Untersuchungsausschuss des Landtags nun bewerten, sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Er werde keine Zwischenbewertungen einzelner Zeugenaussagen vornehmen. Zudem betonte Strobl, dass im Ausschuss auch widersprüchliche Aussagen getätigt worden seien. Das Gremium müsse nun prüfen, inwieweit die Aussagen den Tatsachen entsprächen. Alle Seiten müssten gehört werden. Strobl sagte aber auch, die Strukturen bei der Polizei stünden immer auf dem Prüfstand.

Spitzenbeamte hatten am Montag in bislang ungekannt deutlicher Form im Ausschuss von Tricksereien bei Stellenvergaben, von Vetternwirtschaft und Drohanrufen berichtet. Günstlinge sollen am formal korrekten Beurteilungsverfahren vorbei nach oben manövriert worden sein. Unliebsame Aspiranten wurden den Aussagen zufolge mit Druck und Drohungen dazu gedrängt, ihre Bewerbungen zurückzuziehen. Als Folge sprachen selbst die Vertreter der grün-schwarzen Regierungsfraktionen im Anschluss der Sitzung von strukturellem »Machtmissbrauch« und einem dysfunktionalen System.

Die Zeugenaussagen gäben ihm natürlich zu denken, sagte Strobl am Dienstag. Aber der Respekt vor dem parlamentarischen Ausschuss gebiete es, die Vorgänge nicht zu kommentieren und nichts vorwegzunehmen. Man dürfe die Sachverhalte auch nicht »wohlgefällig« durcheinanderrühren. Der Minister verwies in der Pressekonferenz auch auf den ehemaligen Landespolizeipräsidenten Gerhard Klotter und den damaligen Inspekteur der Polizei, Detlef Werner, die für einen Teil der Vorgänge zuständig gewesen seien. Es wäre interessant zu hören, wie die Einschätzung derer ist, »die das unmittelbar zu verantworten haben«, sagte Strobl. Dann könne man am Ende des Tages eine Bewertung vornehmen. Das sei aber Aufgabe des Untersuchungsausschusses.

Es liege zudem in der Natur der Sache bei Beförderungen, dass der, der unterliegt, die Sache etwas anders sehe als der, der befördert werde, führte Strobl aus. Man lebe zudem in einem Rechtsstaat. »Jede Beförderung bei der Polizei ist gerichtlich überprüfbar«, sagte der Minister. Jeder hätte die Möglichkeit gehabt, seine Rechte wahrzunehmen - insbesondere, da nun martialische Worte gebraucht würden, sagte Strobl.

In dem Untersuchungsausschuss geht es um sexuelle Belästigung in Landesbehörden und der Beförderungspraxis in der Polizeispitze. Im Mittelpunkt steht der Inspekteur der Polizei, der sich derzeit wegen Vorwürfen sexueller Nötigung vor dem Landgericht verantworten muss. Der Ausschuss versucht zu klären, wie der inzwischen freigestellte Inspekteur eine so steile Karriere hinlegen konnte.

Der Karlsruher Polizeivizepräsident Hans Matheis hatte am Montag im Ausschuss ausgesagt, dass der Inspekteur an ihm vorbei ins LKA befördert worden sei. Er sei 2019 Abteilungsleiter Staatsschutz im Landeskriminalamt gewesen und habe selbst die beste Beurteilung für den angestrebten Posten als Vizepräsident des Landeskriminalamts gehabt. »Und dann wird einer schwuppdiwupp vorbeigeschoben«, kritisierte Matheis. Das sei ein herber Schlag gewesen.

Später habe er sich auf den Posten des Landespolizeidirektors beworben - und die Bewerbung auf Druck des Inspekteurs hin zurückziehen müssen, berichtete der 63-Jährige. Ihm sei angedroht worden, sonst früher als geplant in Pension geschickt zu werden. Matheis sagte, er wisse von mehreren Fällen dieser Art bei der Polizei. Und wenn man sich wehre, werde man als »Nestbeschmutzer« dargestellt.

Der ehemalige Präsident des Landeskriminalamts, Ralf Michelfelder, berichtete im Ausschuss, dass der Inspekteur im Frühjahr 2021 einen Kollegen als Abteilungsleiter im Landeskriminalamt installiert habe - und zwar ganz ohne Ausschreibung. Dabei habe es zu der Zeit einen Interessenten aus seinem eigenen Haus auf die Stelle gegeben - der Mann sei nicht berücksichtigt worden. »Den könnt ihr besetzen, aber ich lass den nicht rein«, habe er dem Inspekteur damals gesagt. Die Versetzung sei dann verschoben worden, bis er mehrere Wochen später selbst in den Ruhestand gegangen sei, so Michelfelder.

Nicht mehr nur die Opposition spricht nach den brisanten Schilderungen von einem strukturellen Problem. Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand sieht einen strukturellen »Machtmissbrauch« in der Polizeiführung, er kritisiert »Mechanismen von Mauschelei und Klüngelei«. Auch die CDU-Abgeordnete Christiane Staab sprach davon, dass Aussagen aufgezeigt hätten, »wo Dinge im Beförderungs- und im Beurteilungssystem so dysfunktional sind, dass sie weiter aufgeklärt werden müssen«. Bis dahin sei ein weiter Weg zu gehen. Die SPD spricht von einem »System der Angst«, die FDP von »geradezu kriminellen Methoden«, mit denen Leute unter Druck gesetzt würden.

© dpa-infocom, dpa:230711-99-362489/4