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Macht kaum noch »Kirr-ek«: Sorgen um das Rebhuhn

Der Rückgang der Rebhühner ist so dramatisch wie bei kaum einer anderen Vogelart. Früher scheuchten Spaziergänger aus Versehen schon mal eine Gruppe im Feld auf, heute gibt es kaum noch Exemplare. Eine ungewöhnliche Allianz schlägt jetzt Alarm. Noch sei es nicht zu spät.

Rebhuhn
Ein Rebhuhn sitzt in einem Gehege des Zoologischen Gartens Wilhelma in Stuttgart. Foto: Sina Schuldt
Ein Rebhuhn sitzt in einem Gehege des Zoologischen Gartens Wilhelma in Stuttgart.
Foto: Sina Schuldt

»Bestandssituation: ungünstig« heißt es beim Wildtierportal Baden-Württemberg über das Rebhuhn. Aus Sicht von Jägern und Naturschützern ist das mächtig untertrieben. Denn einst ein »Allerweltsvogel« und »Arme-Leute-Essen«, finden Rebhühner, aber auch Braunkehlchen und Kiebitze auf Feldern und Wiesen in Baden-Württemberg kaum noch Lebensraum. Das hat Folgen: Nach Angaben der Deutschen Wildtier Stiftung sind die Bestände des Rebhuhns seit 1980 europaweit um 94 Prozent eingebrochen, bei den Kiebitzen sind es seit 1995 mehr 90 Prozent und selbst Arten wie die Feldlerche verzeichnen seitdem Verluste von mehr als 70 Prozent.

»Die Lücken sind riesig, in vielen Gebieten sind die Hühnervögel längst verschwunden, auch dort, wo sie einst sehr häufig waren«, sagt der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) im Südwesten, Johannes Enssle.

In einer Allianz für die Bodenbrüter fordern Nabu, Landesjagdverband (LJV), Ornithologen und der baden-württembergische Landkreistag ein politisches Umdenken und regelmäßige millionenschwere Investitionen. »Feld- und Wiesenbrüter zählen zu den am stärksten gefährdeten Vogelarten in Baden-Württemberg«, sagte Enssle am Donnerstag in Stuttgart. Sie seien vor allem durch das Insektensterben und die zunehmend fehlenden Strukturen von Feldern und Wiesen gefährdet.

In ihrem Koalitionsvertrag habe die grün-schwarze Landesregierung ein Bodenbrüterprogramm versprochen. »Sie muss nun liefern«, sagte Enssle. Nabu, Jagdverband, die Ornithologische Gesellschaft und der Landkreistag schätzen die Kosten auf jährlich sechs Millionen Euro.

Aus Sicht der Verbände müssen mehrjährige Blühflächen angelegt und geschützt werden, es braucht Experten wie Vogelkundler vor Ort und die Landschaftserhaltungsverbände (LEV) als Schnittstellen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. »Wir müssen das Know-how in die Fläche bringen«, sagte der Präsident des Landkreistages, Joachim Walter. Es sei zudem wichtig, die Landwirte ins Boot zu holen und sie für die Produktionsausfälle zu entschädigen, die durch das Umwidmen der Flächen anfielen. »Wir haben in unserer Feldflur eine Minute vor zwölf«, warnte Landesjägermeister Jörg Friedmann. Er setzt sich unter anderem für ein Wegeverbot zur Brutzeit ein.

Auch rechtlich gebe es wegen des Rückgangs in EU-Vogelschutzgebieten Handlungsbedarf, hieß es. »Arten wie Kiebitz oder Rebhuhn sind nach EU-Recht streng geschützt«, sagte Nabu-Landeschef Enssle. »Sollten ihre Bestände in Baden-Württemberg tatsächlich erlöschen, könnte das ein Beschwerdeverfahren bei der EU-Kommission zur Folge haben.«

Rebhühner, aber auch andere Kleinsäuger wie Feldhamster oder Feldhase gelten als Verlierer einer immer stärker genutzten Landwirtschaft. Sie brauchen ein Mosaik aus offenen Grasflächen, um ausreichend Futter zu finden und sich vor ihren Feinden verstecken zu können. Doch ihr Lebensraum wird immer knapper. Strukturen wie Hecken oder Grabenränder gehen verloren und Rebhühner finden kaum noch Schutz. Sie werden an die Ränder der Felder gedrängt und können dort schneller von Füchsen aufgespürt werden. Wegen der Schädlingsbekämpfung gibt es zudem immer weniger Insekten. Sie dienen den Küken der Rebhühner aber als überlebenswichtige Nahrung.

Einen Hoffnungsschimmer für das Rebhuhn könnte es dennoch geben: Das Vogelschutzzentrum des Naturschutzbundes Mössingen (Kreis Tübingen) versucht in einem Projekt, Rebhühnern wieder geeigneten Lebensraum zu bieten - durch mehrjährige Blühbrachen zum Beispiel. Bislang werden im Land überwiegend einjährige Brachen gefördert. Für Rebhühner und viele andere Arten sind diese allerdings keine große Hilfe.

Der Kreis Tübingen gilt als eines der letzten Verbreitungsgebiete im Land. Das Projekt unter Trägerschaft des Nabu-Vogelschutzzentrums Mössingen habe sich sehr gut entwickelt, sagte Kolja Schümann, Geschäftsführer des verantwortlichen Vereins Vielfalt (Verein für Inklusion, Erhaltung der Landschaft und Förderung des Artenreichtums im Landkreis Tübingen). Es zeige, dass es möglich sei, den weiteren Rückgang der Art zu stoppen und eine Trendumkehr zu erreichen.

Wurden Mitte der 1980er Jahre noch rund 250 Reviere in der Region gezählt und im Jahr 2005 noch 70, so lag der Rebhuhnbestand 2015 bei nur noch 30 Revieren. Er hat sich seitdem vor allem durch das Projekt auf 51 Reviere (2021) erholt. »Auch wenn dies noch lange keine allein überlebensfähige Population ist, war das ein erster wichtiger Schritt dorthin«, sagte Schümann.

Nach seinen Angaben müssen die Landwirte aber mitspielen. Es sei entscheidend gewesen, dass sie auf insgesamt etwa 60 Hektar mehrjährige Blühflächen angelegt hätten, viele beteiligten sich auch an der Heckenpflege. Allerdings läuft das auf fünf Jahre angelegte Projekt Ende des Jahres aus. Schümann zeigte sich zuversichtlich, dass ab dem kommenden Jahr Bundesmittel zur Verfügung stehen werden.

Webseite Plenum-Projekt Rebhuhn

DDA zum Rebhuhn

Rote Liste Baden-Württemberg

© dpa-infocom, dpa:220323-99-644423/5