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Liberale in der Krise: FDP zeigt sich im Südwesten trotzig

Beim Ritual des Dreikönigstreffens tankt die FDP traditionell Selbstbewusstsein. Das haben die Liberalen zur Zeit auch bitter nötig. Die Partei müsse offensiver werden, findet Landeschef Theurer.

Dreikönigstreffen der FDP
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, spricht beim Dreikönigstreffen der FDP im Opernhaus in Stuttgart. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, spricht beim Dreikönigstreffen der FDP im Opernhaus in Stuttgart.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

Reihenweise verlorene Wahlen, Umfragetiefs, ein überraschend knappes Votum zum Verbleib in der Ampelregierung: In krisenhaften Zeiten hat sich die FDP zum Jahresauftakt im Südwesten Selbstvertrauen verabreicht. Landeschef Michael Theurer forderte beim Landesparteitag am Freitag in Fellbach (im Rems-Murr-Kreis) mehr Profil von seinen Parteikollegen. »Ich bin überrascht, wie defensiv wir an die Dinge herangehen«, sagte er. Beim Dreikönigstreffen in der Stuttgarter Oper am Samstag machte Parteichef Lindner klar, dass die Bundesregierung zwar nicht fehlerfrei sei, aber mehr richtig als falsch entscheide. Die FDP wolle das Land gestalten - der Preis dafür seien eben Kontroversen.

Beim Landesparteitag in Fellbach beschlossen die Delegierten ihr Programm zur Kommunalwahl im Juni. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bezeichnete die Koalition von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als »Stillstandskoalition«, forderte den Rücktritt von Innenminister Thomas Strobl(CDU) und warf Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Vetternwirtschaft vor.

Seit mehr als 140 Jahren starten die Liberalen im Südwesten politisch in das neue Jahr. Die Partei steckt derzeit im Umfragetief, viele Anhänger sind unglücklich mit der Ampel. Vor kurzem votierten Mitglieder nur sehr knapp für einen Verbleib der Partei in der Bundesregierung. 52,2 Prozent stimmten dafür, die Regierungsarbeit der Ampel fortzusetzen. 47,8 Prozent wollten das Bündnis beenden. Die Parteiführung ist laut Satzung nicht an das Ergebnis gebunden.

Man werde die aktuellen Herausforderungen bestehen, wenn man zusammenhalte, sagte Theurer in Fellbach. Er ist Beisitzer im Präsidium der FDP und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr. Die Liberalen müssten selbstbewusster die Erfolge in der Bundesregierung deutlich machen - er verwies etwa auf den Bürokratieabbau und die Senkung der Steuerbelastung. Theurer rief dazu auf, nicht weiter über den Verbleib der FDP in der Ampel zu diskutieren, sondern das Ergebnis der Mitgliederbefragung zu akzeptieren - und sei es noch so knapp.

Theurer wie Lindner riefen trotz Haushaltskrise zur Einhaltung der Schuldenbremse auf. Es sei ein Fehler der FDP gewesen, sich in der Ampel auf die Umbuchung der Coronakredite einzulassen, räumte Theurer ein. »Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen.« Den Haushalt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform zu machen, werde mit Zumutungen verbunden sein, prognostizierte der FDP-Landeschef. Bundeschef Lindner sagte in der Oper, die Ausnahme von der Schuldenbremse sei stets die Ultima Ratio. »Dieser Finanzminister wird keine Entscheidung unterstützen, die neue verfassungsrechtliche Risiken bringt.«

Protest-Aufrufe zu Streiks und Geschäftsschließungen gegen die Politik der Bundesregierung bezeichnete Theurer als Grenzüberschreitung. Zwar wisse man, dass deutsche Landwirte in einer schwierigen internationalen Wettbewerbssituation stünden. Aber das sei kein Grund, Deutschland im Sinne eines Generalstreiks lahmzulegen. »Wir wollen keine südamerikanischen Verhältnisse«, fügte er hinzu. Der Begriff »Generalstreik« ist in den vergangenen Tagen in Internetforen aufgetaucht, einen Aufruf dazu gibt es jedoch nicht. Theurer stellte sich am Samstag dem Gespräch mit protestierenden Landwirten vor der Oper. Sie übergaben ihm Forderungen zu den geplanten Subventionskürzungen der Bundesregierung. Lindner sagte in der Oper: »Lassen Sie sich nicht unterwandern und instrumentalisieren. Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um.«

Beim Landesparteitag in Fellbach beschlossen die FDP-Delegierten ihr Programm zur Kommunalwahl im Juni. Darin fordern die Liberalen unter anderem einen schnellen und unbürokratischen Wohnungsbau und den Erhalt des Individualverkehrs. Ein thematischer Schwerpunkt ist die Migrationspolitik. Theurer sagte, man müsse die irreguläre Migration und den Kontrollverlust beenden - aber mit rechtsstaatlichen Mitteln. Der Landtagsabgeordnete Hans Dieter Scheerer betonte, eine Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme müsse verhindert werden. Es brauche konsequente Rückführungen. Gleichzeitig benötige Deutschland dringend Fachkräfte.

Fraktionschef Rülke kritisierte in Fellbach die Landesregierung quer über alle Ressorts. Es lasse sich leicht harmonisch regieren, wenn man eine derartige »Stillstandskoalition« betreibe, so Rülke. In der Bildungspolitik gehe es seit 2011 bergab, in der Innenpolitik herrsche Stillstand. Rülke kritisierte auch den schleppenden Ausbau der Windkraft im Südwesten. Die grün-schwarze Energiepolitik nannte er borniert. Grüner Wasserstoff sei langfristig wichtig. Es dürfe aber auch kein Tabu sein, über blauen Wasserstoff aus Erdgas und roten Wasserstoff aus Kernenergie nachzudenken. »Wenn wir die Kernkraftwerke als Geisterfahrer als einziges Land in Europa vom Netz nehmen, tun andere das noch lange nicht.«

Kretschmann betreibe eine innovationsfeindliche Wirtschaftspolitik, kritisierte Rülke. Das größte Standortrisiko sei aber Verkehrsminister Hermann: Ihm warf Rülke sogar Vetternwirtschaft und Klientelpolitik vor. Der undifferenzierte Kampf gegen den Verbrennungsmotor sei zudem nicht nur ökonomisch nicht sinnvoll, sondern auch in höchstem Maße unsozial.

© dpa-infocom, dpa:240106-99-511732/6