Stuttgart (dpa/lsw) - Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will die Vollverschleierung an Schulen im Land verbieten lassen. Eine aktuelle Gerichtsentscheidung aus Hamburg mache deutlich, dass man aus Gründen der Rechtssicherheit für ein Verbot eine gesetzliche Grundlage benötige. »Aus diesem Grund wollen wir zügig unser Schulgesetz anpassen«, sagte die Ministerin der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag in Stuttgart. Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) unterstützt den Vorstoß. Sein eigener Landesverband hingegen spricht von einer Scheindebatte.
»Auch die Religionsfreiheit hat ihre Grenzen - und zwar an unseren Schulen ganz konkret, wenn sich Lehrkräfte und Schülerinnen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr ins Gesicht schauen können. Wir dulden keine Vollverschleierung an unseren Schulen«, sagte Eisenmann. Schulen seien Orte der Begegnung. »Der Unterricht dort basiert auf einer offenen Kommunikation, die sich auch in Gestik und Mimik ausdrückt. Ein verhülltes Gesicht verhindert diese offene Kommunikation.«
Bislang sei das baden-württembergische Kultusministerium der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 2014 gefolgt, wonach die Gesichtsverschleierung ein objektives Unterrichtshemmnis darstellt und damit das Tragen untersagt werden kann. Auch wenn es sich deutschlandweit nur um einzelne Fälle handle, zeige die aktuelle Situation in Hamburg die Notwendigkeit einer »rechtlich wasserdichten Regelung«, um ein Verbot im Ernstfall durchzusetzen, hieß es aus dem Kultusministerium.
Es geht um den sogenannten Nikab, einen Gesichtsschleier, der nur die Augen freilässt. Eine 16-jährige Hamburger Berufsschülerin hatte sich das Recht erstritten, diesen im Unterricht tragen zu dürfen. Die Schulbehörde in Hamburg hatte der Mutter der Jugendlichen aufgetragen, dafür zu sorgen, dass die Tochter in der Berufsschule ihr Gesicht zeigt, und ein Zwangsgeld von 500 Euro angedroht. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht wiesen das jedoch zurück. Für eine solche Anordnung fehle die rechtliche Grundlage im Schulgesetz.
Weil die Bundesländer in Deutschland für Bildung zuständig sind, ist das Thema uneinheitlich geregelt. Mehrere Bundesländer wollen nun ihre Schulgesetze verschärfen, um Gesichtsschleier zu verbieten.
»Das finde ich gut«, sagte Kretschmann zu Eisenmanns Vorstoß - auch wenn es nur sehr wenige Fälle gebe, sei es sinnvoll, das rechtlich zu regeln. Der Vorstoß der Kultusministerin sei nicht mit ihm abgesprochen gewesen. In einer offenen Gesellschaft müsse man sein Gesicht zeigen.
Die Südwest-Grünen sprachen hingegen von einer Scheindebatte. Zwar lehne man Burka und Nikab als Unterdrückungssymbole ab, teilten die Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand mit. Aber die Fallzahlen seien nahe Null. »Frau Eisenmann muss sich wiederholt den Vorwurf gefallen lassen, sich im Bildungsbereich mit Nischenthemen zu beschäftigen, um von ihren wahren Problemen abzulenken«, betonten die beiden. »Die CDU-Kandidatin kann der Versuchung nicht widerstehen, Themen nachzulaufen, die letztlich nur die Rechten stärken. Die CDU zeigt zum wiederholten Male, dass sie nicht in der Lage ist, sich vom rechten Rand des politischen Spektrums abzugrenzen.«
»Die Grünen geraten offenbar mehr und mehr außer Tritt«, kommentierte CDU-Generalsekretär Manuel Hagel die Äußerungen des Koalitionspartners. »Was gilt denn nun? Wer hat bei den Grünen die Hosen an?« Der Vorwurf der mangelnden Abgrenzung zum rechten Rand müsse dann sicher auch dem eigenen Ministerpräsidenten gelten, sagte Hagel. »Wir hoffen, dass die Grünen sich zeitnah wieder sortieren und nicht zu einer Belastung des Regierungsgeschäfts werden.«
Auch die Opposition begrüßte den Vorstoß. SPD und FDP betonten die Bedeutung von Rechtssicherheit bei dem Thema. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei, sagte, man müsse klar zwischen Vollverschleierung und Kopftuch unterscheiden: »Wenn sich muslimische Schülerinnen zum Tragen des Kopftuchs entscheiden, ist das von der Religionsfreiheit gedeckt.«
»Symbole der Unterdrückung und der religiösen Intoleranz haben an unseren Schulen nichts zu suchen«, sagte der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg, Gerhard Brand. »Das Dulden einer solchen Verschleierung würde traditionalistische Gruppen stärken, die gesellschaftliche Intoleranz und Frauenfeindlichkeit propagieren und Druck auf muslimische Schülerinnen erzeugen, wenn sie sich nicht voll verschleiern wollen.«
Zuspruch kam auch vom Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg. »Religionsfreiheit, als ein Grundwert, kann kein Recht sein, das über allen anderen Rechten steht«, sagte der Vorstandsvorsitzende Dejan Perc.