STUTTGART. In Stuttgart werden weniger als die in Aussicht gestellten 2.000 Wohnungen pro Jahr gebaut, sodass das Defizit auf 20.000 Einheiten gewachsen sein dürfte. Man könnte das Problem lindern, wenn Wohnraum nicht nur zum zeitweisen, sondern zum dauerhaften Wohnen genutzt wird. Dafür hat der Landesgesetzgeber 2013 das Zweckentfremdungsverbot geschaffen. Verstöße werden mit bis zu 500.000 Euro Bußgeld geahndet. Das Baurechtsamt muss sich aber vom Mieterverein inkonsequentes Handeln vorwerfen lassen.
- Wie viele Wohnungen stehen leer?
Die offizielle Ermittlung erfolgte bei der Volkszählung 2011. Damals standen 11.408 Wohnungen leer, das waren 3,9 Prozent des Bestands. Weil es bei rund 50.000 Umzügen im Jahr eine Fluktuationsreserve von bis zu drei Prozent gibt, ging die Stadt von einem »gewollten Leerstand« von bis zu 6.000 Wohnungen aus. »Das entspricht der jährlichen Netto-Bauleistung von fünf Jahren und ist nicht hinnehmbar«, sagt der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. Zum Verweis der Stadt auf den nur 1.500 Wohnungen ausweisende CBRE-Leerstandsindex von Empirica sagt er: »Die lagen schon 2011 grottenfalsch.«
- Wie bekämpft die Stadt den Leerstand?
Weder intensiv noch mit der richtigen Rechtsauffassung, kritisierte der Mietervereinsvorsitzende in einem Brief an Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne). Kürzlich hatte das Baurechtsamt Gaßmann darüber aufgeklärt, dass bedauerlicherweise schon vor Anfang 2016 leer stehender Wohnraum »nicht mehr unter den Schutzbereich des Zweckentfremdungsverbots« falle. »Kein Eigentümer versteht, warum er nach sechs Monaten für Leerstand bestraft wird, der zehnjährige Leerstand des Nachbarhauses aber von der Stadt hingenommen wird«, so Gaßmann.
- Kann das sein?
Ja und Nein. Falsch ist nach Ansicht des Landeswohnungsbauministeriums, Stuttgart dürfe Leerstand erst seit der Verabschiedung der Satzung (2016) bestrafen. Tatsächlich gebe es eine »Rückwirkungsmöglichkeit auf den 19. Dezember 2013« – damals wurde das Zweckentfremdungsgesetz verabschiedet. Das Baurechtsamt sieht auch deshalb »keine Fehlinterpretation«, weil auch keine andere Kommune ihre Satzung korrigiert habe. In Niedersachsen wird auch Leerstand bestraft, der schon vor dem Gesetzesbeschluss bestand – ohne, dass bisher jemand geklagt hätte. Obwohl das Amt seine Hilflosigkeit gegenüber langem Leerstand öffentlich beklage, weigere es sich, dem Gemeinderat eine neue Satzung vorzulegen, »die die selbst verursachte Hilflosigkeit beendet«, heißt es im Brief.
- Wie könnte eine Neuregelung aussehen?
Gesetze gelten sofort, wenn sie in Kraft treten – und dann für alle. Gaßmann nennt als Beispiel das geplante Messerverbot in der City: Ein Bewaffneter wird sich nicht damit herausreden können, er habe das Messer auch schon dabeigehabt, als es noch erlaubt gewesen sei. Auch bei einem langen Leerstand gehe es nicht darum, den Eigentümer zu sanktionieren, weil er das seit vielen Jahren tue, »sondern, weil er es nach Erlass der städtischen Satzung immer noch macht«. Er schlägt deshalb vor, die Satzung so umzuformulieren, dass künftig Wohnraum, der sechs Monate nach Inkrafttreten der geänderten Fassung leer steht, eine Zweckentfremdung darstellt. »Wenn der Gemeinderat das auch so sieht, haben Spekulanten ab März nächsten Jahres keine Chance mehr«, so Gaßmann.
- Wie werden Ferienwohnungen bewertet?
Damit die Stadt einen Überblick bekommt, verlangt sie eine Registrierung. Wird weniger als zehn Wochen lang im Jahr vermietet, bleibt die Wohnraumeigenschaft unberührt; geschieht das dauerhaft, ist das illegal und wird verfolgt. Gibt es den Verdacht, dass die zulässigen Vermietungszeiten überschritten werden, prüft das Amt die Nachweise. Stichproben belegen aber, dass die meisten Anbieter von Ferienwohnungen auf Internetplattformen wie Airbnb keine Registrierungsnummer haben. Das muss kein Satzungsverstoß sein, denn gewerbliche Vermieter brauchen keine Nummer, weil sie sich beim Ordnungsamt anzumelden haben. Gibt es aber Anhaltspunkte für eine gewerbliche Nutzung, lässt sich die Behörde die Gewerbeanmeldung zeigen. Sich Daten der vom Ordnungsamt zu holen, ist verboten.
- Wo liegt also das Problem?
Um Verstöße gegen das Zweckentfremdungsverbot zu ahnden, braucht es gerichtsfeste Tatsachen. Online-Plattformen verweigern aber die Auskunft über Buchungsdaten. Die Stadt sieht einen Anspruch auf Herausgabe der Informationen. Die Gegenseite meint, es mangele an einer bundesgesetzlichen Berechtigung zur Herausgabe der Daten. Laut einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Herausgabe aber im "begründeten Einzelfall" zulässig. Gassmann sagte, es sei gut, "dass Stuttgart jetzt endlich gegen Airbnb klagt". Das Unternehmen erklärte kürzlich, es befürworte Regeln, die Probleme "mit Immobilienspekulanten und übermäßigem Tourismus lösen". Dazu gehöre die Entfernung von Inseraten ohne Registrierungsnummer und der Zugang zu Daten". (GEA)