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Land fördert »Housing First« für Wohnungslose

Die Zahl der Menschen ohne Wohnung nimmt in Baden-Württemberg weiter zu, aber es gibt kaum passende Räume für sie. Sechs Projekte im Land gehen auf der beschwerlichen Suche einen neuen Weg.

Stadtansicht Stuttgart
Hausdächer sind in einem Innenstadtbezirk der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu sehen. Foto: Marijan Murat/DPA
Hausdächer sind in einem Innenstadtbezirk der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu sehen.
Foto: Marijan Murat/DPA

Die Preise steigen, der Wohnraum wird immer knapper. Für Zehntausende Menschen in Baden-Württemberg ohne Dach über dem Kopf oder zumindest ohne eine eigene Wohnung wird das Leben härter. In Rekordzahl suchen sie die Hilfsdienste auf. Land und Kommunen setzen deshalb auf ein neues Konzept, das aus den USA stammt: Housing First, was übersetzt in etwa »Erstmal Wohnen« bedeutet. Zuallererst, so der Gedanke, brauchen Obdachlose eine Wohnung. Dann können alle weiteren Probleme angegangen werden.

Sechs Modellprojekte sollen nun vom Land und der Vector Stiftung in den kommenden drei Jahren mit insgesamt rund 1,6 Millionen Euro gefördert werden. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) stellt am Donnerstag (11.00) in Stuttgart unter anderem die Ideen aus Herrenberg, Esslingen und der Region Biberach-Schussental, aus Reutlingen und Heidelberg vor.

In Freiburg wird zudem das Projekt »Hila - Housing First für Frauen« unterstützt, das das Diakonische Werk für wohnungslose Frauen mit Gewalterfahrung auf die Beine gestellt hat. Durch das Geld wird etwa die Arbeit einer Krankenschwester, einer Hausmeisterin und von zwei Sozialarbeiterinnen finanziert. Wichtig sei vor allem aber die Suche nach geeigneten Wohnungen auf einem enorm angespannten Markt sowie das Betreuen bei den ersten Schritten auf dem neuen Weg, sagt Projekt-Mitarbeiterin Paula Tümpel.

Zwar sei die Gruppe der Betroffenen groß, sagt die Sozialarbeiterin. Etwa ein Drittel der wohnungslosen Menschen in Deutschland seien Frauen, von denen wiederum 90 Prozent von Gewalt betroffen seien. »Die bestehenden Angebote der Gewalthilfe stoßen bei wohnungslosen Frauen teilweise aber an ihre Grenzen«, sagt Tümpel. In der Wohnungslosenhilfe wiederum könnten Gewalterfahrungen nicht immer behandelt werden.

Ein gemeinsames Problem haben alle Fälle: Es gibt keine passenden Wohnungen. Nach Schätzungen des Branchenverbandes der Bauwirtschaft fehlen allein in Baden-Württemberg rund 70.000 Sozialwohnungen. Längst sind nicht nur große Städte wie Stuttgart oder Freiburg davon betroffen, auch in kleineren Kommunen fehlt es an bezahlbarem und sozial gefördertem Wohnraum, für den auch wohnungslose Menschen infrage kämen.

Wenn sich dann doch mal eine Wohnung anbietet, haben es Obdachlose als Kandidaten schwer. Zum einen konkurrieren Studierende, Alleinerziehende und Geringverdienende um die wenigen günstigen Wohnungen. »Es gibt aber auch nach wie vor viele Vorurteile gegenüber obdachlosen Frauen«, sagt Tümpel. »Man hat ein bestimmtes Bild.«

Ohne eine Wohnung allerdings bauten sich für viele Menschen die Probleme weiter auf, wenn es um Arbeit, Versicherungen oder auch soziale Kontakte gehe. Viele Frauen nähmen deshalb trotz ihrer Erfahrungen auch weitere Gewalt in Kauf, um nicht auf der Straße leben zu müssen. Dabei seien die Erfahrungen mit »Housing First«-Mieterinnen und -Mietern in anderen Ländern durchaus gut, sagt Tümpel. Bei Projekten unter anderem in Amsterdam und Kopenhagen, Glasgow und Lissabon lebten die überaus meisten von ihnen auch ein Jahr nach dem Einzug noch in der neuen Wohnung. Ziel des Hila-Projektes ist es zunächst, ab Juni zehn Wohnungen zu vermitteln. »Das ist natürlich viel zu wenig, das ist eine absurd kleine Zahl angesichts der steigenden Zahl von wohnungslosen Frauen«, sagt Tümpel.

Im Südwesten lebten nach Angaben des Sozialministeriums rund 76.500 wohnungslose Menschen (Stand Januar 2023). Fast ein Drittel davon war demnach unter 18 Jahre alt (31,8 Prozent). Allgemein wird unterschieden zwischen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit. Wohnungslos sind Menschen, die nicht über eine eigene Wohnung mit Mietvertrag verfügen. Damit landen sie aber nicht gleich als obdachlos auf der Straße. Viele Wohnungslose kommen zunächst bei Bekannten oder Freunden unter.

© dpa-infocom, dpa:240314-99-333452/2