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Kritik an Beschluss zu Deutschlandticket: »Nichts gelöst«

Dass das neue Ticket für Busse und Bahnen in ganz Deutschland ein Erfolg ist, finden eigentlich alle. Ob es im kommenden Jahr weiter finanziert werden kann, ist trotz Gipfeltreffen unklar, kritisiert Verkehrsminister Hermann.

Verkehrsministerkonferenz in Köln
Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Foto: Henning Kaiser/DPA
Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), Verkehrsminister von Baden-Württemberg.
Foto: Henning Kaiser/DPA

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann hat den Beschluss der Bund-Länder-Runde zur Zukunft des Deutschlandtickets scharf kritisiert. »Dieser Beschluss zum Deutschlandticket ist ein Nicht-Beschluss: Nichts ist gelöst«, sagte der Grünen-Politiker. Die Vereinbarung helfe bei der Lösung der strittigen Finanzierungsfrage nicht weiter, sondern spiele den Ball an die Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister der Länder zurück, sagte Hermann. Diese könnten aber keinen Finanzbeschluss selbst fassen, das müsse eine weitere Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler machen. »Der Bund hat eine schöne Ticket-Idee in die Welt gesetzt, weigert sich aber, dafür Finanzierungsverantwortung zu übernehmen«, kritisierte Hermann.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder hatten nach wochenlangem Streit und Warnungen vor einem Aus des Tickets Schritte zu einer weiteren Finanzierung vereinbart. So sollen in diesem Jahr ungenutzte Zuschüsse 2024 verwendet werden können, um finanzielle Nachteile auszugleichen, die durch das günstigere Ticket bei Verkehrsanbietern entstehen. Die Verkehrsminister sollen jetzt rechtzeitig vor dem 1. Mai 2024 ein Konzept zur Umsetzung des Tickets 2024 erarbeiten.

Nach einer Verabredung von Ende 2022 schießen Bund und Länder in diesem und im nächsten Jahr schon je 1,5 Milliarden Euro zum Ausgleich von Einnahmeausfällen bei Bus- und Bahnbetreibern zu. Doch Knackpunkt waren zuletzt etwaige Mehrkosten darüber hinaus. Dass Bund und Länder auch sie hälftig tragen, ist nur fürs Einführungsjahr 2023 vereinbart. Verkehrsbranche und Länder forderten das lange auch für 2024. Davon ist keine Rede mehr. Mit dem künftigen Konzept soll eine weitere »Nachschusspflicht« für Bund und Länder vom Tisch sein.

Genau diese Nachschusspflicht braucht es aber aus Hermanns Sicht. Seit der Einführung des Deutschlandtickets kämpften die Länderminister »für eine verlässliche, tragfähige und dauerhafte Finanzierung mit dem Bundesverkehrsministerium, mit fairer 50:50 Kostenverteilung plus Nachschusspflicht - leider erfolglos«.

Das sieht die FDP-Fraktion im baden-württembergischen Landtag ganz anders und fordert von Hermann »mehr Redlichkeit«: »Wer die Materie kennt, weiß, dass bei der Konzeption des Deutschlandtickets nie von einer Nachschusspflicht die Rede war«, sagte der Abgeordnete Hans Dieter Scheerer. Zudem seien die Länder für den ÖPNV originär verantwortlich. Aus Sicht von Scheerer sollte Hermann den ÖPNV im Land effizienter gestalten. »Noch immer leisten wir uns bundesweit die meisten Verkehrsverbünde. Von bundesweit über 60 entfallen alleine 19 auf Baden-Württemberg«, kritisierte er.

In den Blick rückt auch der Preis von 49 Euro im Monat, der als »Einführungspreis« gilt. Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hält auch eine Preiserhöhung im Mai des kommenden Jahres für nicht ausgeschlossen. Die Verkehrsministerkonferenz werde dem Auftrag nachkommen und ein Konzept zur langfristigen Finanzierung des Deutschlandtickets entwickeln, sagte er am Dienstag in Düsseldorf als deren Vorsitzender. Der von der Ministerpräsidentenkonferenz festgelegte Finanzrahmen »schränkt allerdings vieles ein und könnte dazu führen, dass der Einführungspreis ab Mai nächsten Jahres nicht mehr zu halten sein wird«, erklärte der Grünen-Politiker.

Aus Sicht eines Verkehrsexperten hätte eine Preiserhöhung auch Auswirkungen auf die Nachfrage nach dem Ticket. »Nach unseren Berechnungen nutzen rund 10 Millionen Menschen derzeit das Deutschlandticket. Sollte der Preis auf 59 Euro steigen, blieben vielleicht noch sechs bis sieben Millionen«, sagte Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin der Deutschen Presse-Agentur. »Das Ticket müsste eigentlich 29 Euro kosten, dann hätte man viel mehr Menschen in den Zügen.« Von den aktuellen politischen Entwicklungen sei er »bestürzt«.

Wissenschaftler Knie kritisierte, dass das Ticket bereits jetzt ein Fahrschein für Menschen mit höherem Einkommen sei. Er geht davon aus, dass lediglich 400.000 bis 500.000 Menschen, die vorher gar kein ÖPNV-Ticket hatten, mit dem Deutschlandticket nun Busse und Bahnen nutzen. Vor allem Menschen, die in den Speckgürteln großer Städte wohnen und vor dem Deutschlandticket teils dreistellige Beträge für einen Monatsfahrschein zur Arbeit ausgeben mussten, profitierten vom 49-Euro-Angebot.

© dpa-infocom, dpa:231108-99-864282/3