Stuttgart (dpa/lsw) - Ein knappes Statement mit einer großen Wirkung: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat mit seinen Äußerungen zum Rechtschreibunterricht bundesweit eine kontroverse Debatte ausgelöst. »Ich höre jetzt als Rückmeldung, es gibt keine Gruppe von Eltern und Großeltern, die nicht heftig darüber debattiert«, bemerkte er am Dienstag in Stuttgart. In den sozialen Medien und von einigen Politikern hat Kretschmann am Wochenende großen Widerspruch geerntet. Jetzt erläuterte er vor Journalisten den Hintergrund seiner Worte - im Kern blieb er aber bei seiner Aussage.
Der Regierungschef wiederholte noch einmal das, was er zuerst im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur gesagt hatte. »Jeder Mensch braucht ein Grundgerüst an Rechtschreibkenntnissen, das ist gar keine Frage«, sagte er. Korrekt mit Sprache umzugehen sei auch Grundlage einer jeden Kultur. »Aber die Bedeutung, Rechtschreibung zu pauken, nimmt ab, weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben. Wir haben ja kluge Geräte, die uns die Grammatik und die Fehler korrigieren.« Er fügte nun hinzu, er habe das mit Blick auf die Zukunft gemeint. Heute könnten die Geräte die Rechtschreibung nur unvollkommen korrigieren. »Aber sie werden immer besser.«
Kretschmann geht es nach eigenen Worten um die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz und die Frage, was der Mensch in Zukunft selber können muss und was Geräte ihm abnehmen können. »Was müssen wir anders machen, damit wir die Welt verstehen?«, fragte er. Und wie müsse sich deshalb der Schulunterricht ändern? Er sei nicht gegen richtige Rechtschreibung. Die Frage sei nur, wer das zum Schluss mache. »Jemandem, der ein Bewerbungsschreiben wegschickt, dem würde ich doch in fünf Jahren empfehlen, das mal durch so ein Programm durchlaufen zu lassen«, sagte Kretschmann, der früher selber als Lehrer für Biologie, Chemie und Ethik gearbeitet hat.
Kretschmann hatte viel Widerspruch geerntet. So sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD): »Wir müssen in den Schulen dafür Sorge tragen, dass unsere Schülerinnen und Schüler richtig rechnen, lesen und schreiben lernen.« Dazu gehöre vor allem auch die Rechtschreibung. Digitale Endgeräte wie Handys und Tablets hätten viele Vorteile. »Aber wer sich in Sachen Rechtschreibung auf sie verlassen muss, ist schnell verlassen«, sagte Hubig.
Auch innerhalb Kretschmanns grün-schwarzer Regierungskoalition runzeln einige die Stirn. Kultusministerin Susanne Eisenmann, die auch CDU-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl 2021 und somit Kretschmanns Herausforderin ist, teilte mit: »Rechtschreibung ist für eine umfassende Bildung von existenzieller Bedeutung.« Sie halte es für fatal und für einen großen Fehler, wenn man sich stark von Technik abhängig mache. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sagte: »Für mich ist korrekte Rechtschreibung eine der Grundvoraussetzungen, um miteinander zu kommunizieren. Da muss es ganz klare Regeln geben, online und offline, analog und digital.«
Kretschmann verwies darauf, dass es in Bildungsfragen viele unterschiedliche Meinungen gebe. Zum Beispiel sei umstritten, woraus das Grundgerüst an Rechtschreibkenntnissen bestehen solle. Und sollte man technische Hilfsmittel im Unterricht nutzen oder nicht? Lehrer und Wissenschaftler seien sich da uneins. »Es gibt welche, die sagen, überhaupt nicht in die Grundschule mit den Geräten.« Andere sagten, man müsse den Umgang damit lernen und sie deshalb auch im Unterricht einsetzen. Ein Großteil der Lehrer stehe den neuen Medien sehr skeptisch gegenüber. Das mache ihn sehr nachdenklich, meinte Kretschmann, der diese Fragen sorgfältig diskutieren will.