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Kretschmann sieht eine Trendwende beim Windkraft-Ausbau

Ausgerechnet Baden-Württemberg mit seinem grünen Ministerpräsidenten ist beim Ausbau der Windkraft bislang nicht so recht aus den Startblöcken gekommen. Das wird sich nun ändern, verspricht Regierungschef Kretschmann. Die Branche ist da skeptischer.

Landespressekonferenz Baden-Württemberg
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hört im Landtag am 09.05.2023 bei einer Pressekonferenz auf Fragen von Journalisten. Foto: Bernd Weißbrod
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hört im Landtag am 09.05.2023 bei einer Pressekonferenz auf Fragen von Journalisten.
Foto: Bernd Weißbrod

Zumindest ein bisschen steiler ist sie ja geworden, die »Kretschmann-Kurve« in der Windkraft. Angesichts der jüngsten Zahlen zum Ausbau der Windenergie sieht sich der baden-württembergische Ministerpräsident trotz einer bislang ernüchternden Bilanz für die vergangenen Jahre weiter auf dem richtigen Weg. »Wir sehen an den Zahlen aus dem ganzen Land: Der Wind hat sich gedreht. Die Trendwende bei der Windkraft ist da«, sagte Regierungschef Winfried Kretschmann am Montag bei einem Besuch des Windpark-Projekts Sulzbach-Laufen (Kreis Schwäbisch-Hall).

Nach den jüngsten Projektzahlen wurden rund 100 Anlagen genehmigt, sind aktuell aber noch nicht am Netz. Weitere 133 Anlagen befinden sich im Genehmigungsverfahren. Derzeit würden zudem 178 Windräder den Genehmigungsbehörden vorgestellt, sagte Kretschmann. »Das sind zusammen über 400 Windkraftanlagen, die aktuell in der Pipeline sind.«

Der Regierungschef äußerte sich aber nicht dazu, bis wann sich diese Räder auch drehen werden. »Natürlich werden davon nicht alle in den kommenden beiden Jahren gebaut«, sagte er. »Und natürlich kann auch mal ein Vorhaben wegfallen. Aber das Gros wird grünen Strom in unser Netz einspeisen. Und darauf kommt es an.«

Nach Angaben des Staatsministeriums liegen zwischen Genehmigung und Bau einer Anlage im Schnitt zwei Jahre. Das geplante Rad in Sulzbach-Laufen wurde nach Angaben des Landes nur acht Monate nach der Antragstellung genehmigt. Ab Sommer 2024 soll der Windpark mit insgesamt sieben Windrädern betrieben werden.

Es dürfte nach Ansicht der Branche aber noch ein weiter Weg werden, bis Baden-Württemberg tatsächlich ein »Musterländle« für erneuerbare Energien sei, wie es Kretschmann vor weit mehr als einem Jahrzehnt versprochen habe. Nach Einschätzung der Branche wird zumindest in den kommenden beiden Jahren wenig Bewegung zu sehen sein. »Man kann zwar einen neuen Schwung sehen bei den Projektierern«, sagte Franz Pöter, der Geschäftsführer der Plattform Erneuerbare Energien, der Dachorganisation der Branchenverbände und Organisationen. »Gleichwohl konnte es auch nicht viel schlechter werden als bislang.«

Die Zahlen zur Windkraft würden nur dann steigen, wenn die genannten Anträge auch schneller genehmigt würden. Und bei 300 der 400 genannten Anlagen sei dies derzeit noch nicht der Fall. »Das heißt, sie gehen auch nicht vor 2025 an den Start«, sagte Pöter der Deutschen Presse-Agentur.

Im vergangenen Herbst hatte Kretschmann das Ziel ausgegeben, im Jahr 2024 mindestens 100 neue Windkraftanlagen im Land zu erreichen. Auch hier hat die Branche ihre Zweifel: »Wir gehen eher davon aus, dass es in den kommenden zwei Jahren deutlich weniger Räder gebaut werden.« Und selbst die nun genannten reichten bei weitem nicht aus für eine erfolgreiche Energiewende.

Umweltministerin Thekla Walker wirbt für das Konzept des Landes zum Aufbau: »Das Potenzial für die kommenden Jahre ist groß«, sagte die Grüne, die den Ministerpräsident nach Sulzbach begleitete. »Man erkennt, dass erneuerbare Energien ein zentraler Wirtschaftszweig mit regionaler Wertschöpfung für unser Land werden können: ein starkes Rückgrat unserer Wirtschaft.« Bei den Projektierern herrsche eine Aufbruchsstimmung. »Diese Aufbruchsstimmung tragen wir nun auch in die Behörden«, versprach sie.

Die blanken Zahlen für das vergangene Jahr stützen ihren Optimismus bislang nicht: Laut Bundesnetzagentur wurden im Jahr 2022 in Baden-Württemberg nur 41 Windkraftanlagen genehmigt. In Niedersachsen waren es hingegen 196 neue Räder, in Nordrhein-Westfalen 184. Im selben Zeitraum wurden im Südwesten auch nur 9 neue Windkraftanlagen errichtet, in NRW hingegen 68 und in Niedersachsen 67.

Die Landesregierung macht die geänderten Ausschreibungsbedingungen für das vergleichsweise dürftige Abschneiden verantwortlich. Die damalige Bundesregierung habe 2017 einen Windkraft-Deckel und restriktive Ausschreibungsregeln eingeführt. Das habe den Windkraft- Ausbau hart ausgebremst, sagte Kretschmann.

Die politische Opposition lässt dennoch kein gutes Haar am grün-schwarzen Ausbau: »Anders als die Milchmädchenrechnung des Ministerpräsidenten sprechen die aktuellen Genehmigungszahlen eine andere Sprache«, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Im ersten Quartal 2023 sei nur ein einzelnes Windrad genehmigt worden. Für die SPD kritisierte deren energiepolitische Sprecher Gernot Gruber: »Wenn neue Windräder bei uns so selten sind, dass jeder Neubau vom Ministerpräsidenten persönlich begrüßt wird, spricht das Bände.« Die Landesregierung mache einen »riesigen Spagat zwischen Wollen und Werden«.

© dpa-infocom, dpa:230522-99-782456/4