Stuttgart (dpa/lsw) - Tippt man das Wort »nähmlich« in Computer oder Handys ein, fällt Programmen mit Korrekturfunktion direkt auf: falsch! »Nämlich« muss das nämlich heißen. Wie wichtig ist dann noch der Rechtschreibunterricht angesichts von rund 60 Millionen Smartphone-Nutzern in Deutschland? Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann findet: nicht mehr so wichtig wie früher.
»Jeder Mensch braucht ein Grundgerüst an Rechtschreibkenntnissen, das ist gar keine Frage. Aber die Bedeutung, Rechtschreibung zu pauken, nimmt ab, weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben«, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Den Grundschulverband hat er auf seiner Seite. Doch CDU und der Rat für deutsche Rechtschreibung widersprechen entschieden.
Kretschmann, der früher als Chemie- und Biolehrer gearbeitet hatte, sagte, es gebe ja »kluge Geräte«, die Grammatik und Fehler korrigierten. »Ich glaube nicht, dass Rechtschreibung jetzt zu den großen, gravierenden Problemen der Bildungspolitik gehört.«
Kultusministerin Susanne Eisenmann vom Koalitionspartner CDU sieht das anders: »Ich bin der Ansicht, dass wir vielmehr wieder ein deutliches Bekenntnis zur Rechtschreibung brauchen, gerade im medialen Zeitalter.« Rechtschreibung sei ein bedeutendes Kulturgut und eine Schlüsselqualifikation wie Lesen und Rechnen. »Diese Bedeutung müssen wir auch in unseren Schulen vermitteln.«
Es gehe darum, »dass wir in unserer Gesellschaft wieder eine bewusstere Haltung gegenüber Rechtschreibung aufbauen«, sagte Eisenmann, die die CDU als Spitzenkandidatin in die kommende Landtagswahl führt. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Reinhart sieht es mit Sorge, dass auf die Rechtschreibung zu wenig Wert gelegt werde, wie er betonte.
Das Kultusministerium hatte zuletzt den Rechtschreibunterricht gestärkt. Seit dem Schuljahr 2018/19 dient der »Rechtschreibrahmen« Lehrern als Orientierung. In der Grundschule gibt es mehr Deutschstunden. Und seit dem aktuellen Schuljahr können Rechtschreibfehler in allen Fächern - nicht nur in Deutsch - in die Bewertung von Schülern einfließen. Das gilt in Schulen oberhalb der Grundschule, nicht aber in der gymnasialen Oberstufe.
Die Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung in Mannheim, Sabine Krome, sagte: »Diesen Vorstoß sehe ich als sehr wichtig an, denn Rechtschreiben ist tatsächlich eine Grundkompetenz nicht nur in der Schule, sondern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.« Rechtschreibung sollte zwar nicht der wichtigste, aber doch ein wesentlicher Pfeiler von Bildung sein.
Der Grundschulverband Baden-Württemberg ist dagegen ganz beim Ministerpräsidenten. »Ja, wir brauchen Rechtschreibung. Aber bitte doch von den Prioritäten her nicht als Allerwichtigstes«, erklärte Hans Brügelmann, Verbandsmitglied und emeritierter Professor für Grundschulpädagogik. Rechtschreibkompetenz bedeute heute etwas anderes als früher. Es gehe nicht mehr um das blinde Üben eines begrenzten Wortschatzes für Diktate.
Für ihre ganz unterschiedlichen späteren Lebens- und Berufssituationen müssten Kinder lernen, wie sie eigene Texte selbstständig in eine gute Form bringen könnten. Dafür bräuchten sie grundlegende Rechtschreibkenntnisse, vor allem aber Strategien, um sich die Schreibweise unbekannter Wörter zu erschließen. Handschrift und Rechtschreibung seien lediglich »Oberflächenmerkmale«, sagte Brügelmann. Eisenmann hacke immer wieder darauf herum und treffe damit offensichtlich einen Nerv in der öffentlichen Diskussion.
Der Bildungsexperte der SPD-Landtagsfraktion, Daniel Born, sagte, die bisherigen Maßnahmen des Kultusministeriums reichten vielleicht für den schnellen Applaus. Eine nachhaltige Förderung sähe aber anders aus. Der bildungspolitische Sprecher der FDP/DVP-Fraktion, Timm Kern, sagte: »Indem er der Rechtschreibung ihre Bedeutung abspricht, demotiviert der Regierungschef all diejenigen, die sich anstrengen, die deutsche Sprache zu erlernen.«
Bei Kretschmann hat der Unterricht in den 50er Jahren offensichtlich seinen Zweck erfüllt. Er selbst sei in der Schule gut in Rechtschreibung gewesen, erzählte der 71-Jährige. »Ich habe gute Rechtschreibkenntnisse. Ich glaube, die sind sogar sehr gut. Ich korrigiere selbst Vermerke von Beamten, die ja in der Regel nichts rauslassen. Da bin ich firm.«