Der Rücktritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) war aus Sicht ihres Parteikollegen Winfried Kretschmann zwingend notwendig. »Der Rücktritt war unvermeidlich, aber menschlich bitter«, sagte der Ministerpräsident am Dienstag in Stuttgart. Es müsse aber ein Anliegen der Politik sein, auch in Führungsämtern Familie und Beruf vereinbaren zu können.
Er habe den Ministerinnen und Ministern in seinem Kabinett am Dienstag gesagt, dass man bei familiären Schwierigkeiten »selbstverständlich eine Auszeit machen« könne, so der Regierungschef. Kretschmann nannte etwa Probleme mit Kindern, eine Krankheit, die plötzlich notwendige Pflege der eigenen Eltern als Beispiele. Jeder Minister habe Staatssekretäre, jeder habe Kollegen. »Auch wenn die Lage schwierig ist, muss das möglich sein, dass man das macht.« Das müsse aber mit ihm besprochen werden und es müsse organisiert werden, dass in dieser Zeit die Geschäfte trotzdem vollumfänglich wahrgenommen werden. Soweit er das beurteilen könne, sei das im Fall Spiegel »nicht in ausreichendem Maße« geschehen.
Bundesfamilienministerin Spiegel hatte am Montag ihren Rücktritt erklärt, nachdem bekanntgeworden war, dass sie als damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin zehn Tage nach der Flutkatastrophe zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich aufgebrochen war. Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 waren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. »Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht«, hatte die Grünen-Politikerin erklärt.
Umweltminister Thekla Walker sagte, wichtig sei es nun, aus dem Rücktritt Spiegels zu lernen. »Es geht darum, früher offener und transparenter über die persönliche Lage zu informieren, wenn sie einschränkend wird.«
Kretschmann sagte, er habe seinem Kabinett mitgeteilt, dass man darüber nochmal rede und gucke, was man verbessern könne und muss. Das Thema sei schwieriges Terrain. Privates ließe sich nur noch bedingt vom Politischen trennen. Er habe etwa mit seiner Frau Gerlinde entschieden, ihre Brustkrebs-Krebserkrankung öffentlich zu machen, um Spekulationen über abgesagte Termine zuvorzukommen. Aber solche Entscheidungen seien immer eine Gratwanderung.
Kretschmann hatte sich bereits vergangenes Jahr dafür ausgesprochen, Regierungsämter familienfreundlicher zu machen. Nachdem sein Finanzminister Danyal Bayaz (38) im vergangenen Sommer Vater geworden war, hatte Kretschmann aber erklärt, dass Minister nicht in dem Ausmaß Elternzeit machen könnten wie normale Arbeitnehmer.
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