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Kretschmann: Nicht jeder muss Französisch können

Französisch in der Schule büffeln? Ist künftig verzichtbar, findet zumindest Ministerpräsident Kretschmann - und sagt das ausgerechnet auf einem Festakt der deutsch-französischen Partnerschaft.

Steinmeier und Kretschmann
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) und Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), kommen zu den Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen des Deutsch-Französischen Institutes. Foto: Marijan Murat/DPA
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) und Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), kommen zu den Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen des Deutsch-Französischen Institutes.
Foto: Marijan Murat/DPA

Übersetzungs-App statt Vokabeln büffeln? Die Technik kann aus Sicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann das mühsame Erlernen einer zweiten Fremdsprache wie Französisch bald ersetzen. Junge Leute müssten zwar gut Englisch können, sagte der Grünen-Politiker am Montag in Ludwigsburg. Mit Blick auf zweite Fremdsprachen wie Französisch sagte er aber, man müsse mehr Vertrauen in die Technik haben. »In zehn Jahren wird sich jeder einen Knopf ins Ohr setzen - und der übersetzt das simultan, was da gesprochen wird. Das wird so kommen.«

Kretschmann sagte das auf einem Festakt zum 75-jährigen Bestehen des Deutsch-Französischen Institutes in Ludwigsburg. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zuvor in einem Grußwort verkündet, dass Deutsche und Franzosen stolz sein könnten auf die jahrzehntelang gewachsene Freundschaft der beiden Länder. »Die Menschen müssen sich treffen, müssen miteinander reden, sich kennenlernen, um sich besser zu verstehen«, sagte das Staatsoberhaupt.

Kretschmann machte kurz darauf bei einer Podiumsdiskussion deutlich, dass er das Lernen einer zweiten Fremdsprache für alle künftig für obsolet an Schulen hält. »Feuerwehrleute, die sich jetzt treffen bei einer Städtepartnerschaft, da können Sie doch nicht erwarten, dass die Französisch oder Deutsch können, da brauchen Sie die Technik.« Damit sei dann ein großes Hemmnis beseitigt - »statt sich noch einmal 30 Jahre den Kopf zu zerbrechen, wie lernen wir Französisch und die Deutsch. Das machen sie halt nicht.«

Das Ergebnis des Französisch-Unterrichts sei auch höchst bescheiden, sagte der Regierungschef. Es brauche »kleine Kerne«, wo richtig Französisch gesprochen werde an Schulen. Man dürfe aber nicht mehr glauben, dass jeder ein bisschen Französisch können müsse. »Und dann kann er noch nicht mal ein Eis bestellen, wenn er in den Urlaub geht.« Das mache keinen Sinn. Man müsse da disruptiver denken.

Eine Sprecherin des Kultusministeriums erklärte: »Es ist richtig, dass technische Interfaces verfügbar sein werden, die Simultanübersetzungen übernehmen werden können.« Beim Erwerb einer zweiten Fremdsprache gehe es aber nicht nur um Übersetzung, sondern auch um die Aneignung der jeweiligen Kultur und das Verständnis für das gegenüber. »Diesen empathischen Gehalt des Erlernens einer Fremdsprache wird uns die KI nicht abnehmen können.«

Ungefähr 17 Prozent aller rund 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler im Südwesten lernten nach Angaben des Ministeriums im Schuljahr 2021/22 Französisch als erste, zweite oder dritte Fremdsprache. Seit 2016 sei die Zahl damit leicht rückläufig, hieß es. Durch die Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts in den ersten beiden Klassen habe sie sich in den Grundschulen seit 2018 halbiert.

Während die Quote an allgemeinbildenden Gymnasien demnach bei 50 Prozent und an allgemeinbildenden Schulen insgesamt bei 25 Prozent liegt, ist sie an beruflichen Schulen nur bei 2 Prozent. Dort werde Französisch nur an Schularten unterrichtet, die auf die Fachhochschulreife (Berufskollegs) oder auf das Abitur (Berufliche Gymnasien, Berufsoberschulen) vorbereiten. »Das Fach ist hier in den letzten Jahren gegenüber Spanisch ins Hintertreffen geraten, da Spanisch als leichter zu lernen gilt«, erläuterte die Sprecherin.

Die Bildungsverbände protestieren vehement gegen Kretschmanns Äußerungen. Der Ministerpräsident bleibe sich treu und handele getreu dem Motto »Wer keine Ahnung hat, sollte wenigstens Verwirrung stiften«, kritisierte Gerhard Brand, der Bundes- und Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).

Die digitale Transformation sei mehr ist als nur die Digitalisierung des Analogen, Sprache sei mehr als nur sprechen. »Mit der gelebten Sprache erschließen wir uns Kulturen und nehmen teil am Leben anderer Menschen.« Wer vor diesem Hintergrund »schwäbisch gelehrt mit ein bisschen Disruptivität« argumentiert, habe die Bedeutung von Sprache nicht verstanden.

Die Bildungsgewerkschaft GEW sprach von einem »falschen Signal« für die Schulen und die vielen französisch-deutschen Schulpartnerschaften in Baden-Württemberg. »Natürlich wird Künstliche Intelligenz die Kommunikation verändern, gerade beim Lernen neuer Sprachen«, betonte die GEW-Vorsitzende Monika Stein. »Wer an unseren Schulen Französisch lernt, kann aber mehr als nur ein Eis bestellen. Und das sinnvolle Lernen einer Fremdsprache braucht das Gespräch untereinander.«

Gerade die vielen französisch-deutschen Projekte und die vielen Partnerschaften zwischen französischen und baden-württembergischen Kommunen seien ein wichtiges Fundament für Europa, sagte Stein. »Wenn Jugendliche nicht mehr Französisch lernen, werden viele Partnerschaften darunter leiden«, sagte Stein.

Laut GEW hat das Interesse an Französisch als Zweitsprache in den vergangenen Jahren nachgelassen. Viele Jugendlichen entschieden sich, neben Englisch lieber Spanisch zu lernen.

© dpa-infocom, dpa:230703-99-267215/5