Die Spitzen der grün-schwarzen Koalition haben das Land auf wirtschaftlich schlechtere Zeiten eingestimmt und vor zu hohen Erwartungen an den nächsten Doppelhaushalt gewarnt. »Wenn man nicht genug Geld hat, muss man priorisieren«, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Für ihn stünden Energiewende und Klimaschutz sowie Bildung im Vordergrund. Er finde es richtig, dass Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) »jetzt schon ein bisschen auf die Bremse tritt«. Bayaz habe im Kabinett davor gewarnt, dass die Mai-Steuerschätzung, die in dieser Woche erarbeitet wird, nicht »sehr belastbar« sein werde, weil die Folgen des Ukraine-Kriegs noch nicht genügend einberechnet würden. Hinzu komme die hohe Teuerungsrate.
Klar sei, auch Dinge, die man für wichtig hält, müsse man bezahlen können. Wenn die Ministerinnen und Minister das nicht selber machten, müsse das der Finanzminister für den Doppelhaushalt 2023/24 für sie erledigen, sagte Kretschmann. Der Koalitionsvertrag steht seit Anfang an wegen großer Lücken durch Corona unter Finanzierungsvorbehalt. Der anstehende Doppeletat ist allerdings der zentrale Haushalt für die Verwirklichung der Projekte in dieser Legislaturperiode. Das dürfte zähe Verteilungskämpfe innerhalb der Koalition nach sich ziehen.
Bayaz hatte »Stuttgarter Zeitung« und »Stuttgarter Nachrichten« (Dienstag) gesagt: »Wir werden objektiv ärmer durch niedriges Wachstum und hohe Inflation. Ich erwarte, dass diese Situation die Wirtschaft im Land auch über dieses Jahr hinaus prägen wird.« Der Grünen-Politiker erklärte weiter: »Das heißt, dass unser Land insgesamt weniger finanzielle Mittel hat und wir weniger Spielraum für zusätzliche Ausgaben haben.« Es sei zwar kein Sparetat notwendig, aber »ein fokussierter Haushalt mit klaren Prioritäten«.
Kretschmann sagte, es gelte in der Energieerzeugung »souveräner« zu werden und den Ausbau der Windkraft voranzutreiben. »Da müssen wir mehr Tempo vorlegen.« In der Schulpolitik sei die Herausforderung, das »untere Drittel« der Schüler in seinem Bildungserfolg anzuheben, um den Fachkräftemangel zu beheben.
Bayaz befürchtet, dass die Mai-Steuerschätzung für Bund und Länder zu positiv ausfallen wird. »Diese positive Steuerschätzung steht auf tönernen Füßen«, sagte er den Zeitungen. Die Folgen des Kriegs, die hohe Inflation und Belastungen der Weltwirtschaft wie die Pandemie und gestörte Lieferketten würden im Laufe des Jahres auf die Konjunktur und die Steuereinnahmen durchschlagen.
Bayaz sieht weitere Belastungen, die das Land stemmen müsse. So müssten die Länder die milliardenschweren Entlastungspakete des Bundes mitfinanzieren. Hinzu kämen wachsende Kosten für Unterhalt und Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen und das strukturelle Defizit aus der mittelfristigen Finanzplanung von 5,4 Milliarden Euro allein für den Doppeletat 2023/2024. »Das muss man erst einmal stopfen - der Überschuss reicht dazu nicht«, sagte Bayaz.
Zuletzt hatten auch die Fraktionschefs Andreas Schwarz (Grüne) und Manuel Hagel (CDU) vor zu hohen Erwartungen an den Etat gewarnt. »Ich rate zu deutlicher Zurückhaltung bei den Haushaltsberatungen«, sagte Schwarz. »Das wird harte Diskussionen geben.« Hagel mahnte: »Wir sind jetzt nicht bei Wünsch-dir-was.« Wer von den Ministerinnen und Ministern bei den Etatberatungen einen Euro mehr wolle, müsse den Ehrgeiz haben zu sagen, wo man zwei Euro sparen kann. »Wer sagt, was er will, muss auch sagen, was weg kann.«
Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hatte dazu gesagt, dieses Prinzip funktioniere nach seiner Erfahrung nicht. »Das würde dann gelingen, wenn eine alte Aufgabe wegfallen würde.« In der Regel kämen zu den alten Aufgaben aber immer neue hinzu. Der Grüne will für seine Ziele bei der teuren Verkehrswende kämpfen, wie er am Dienstag erklärte. Um den Umstieg vom Auto auf Busse und Bahnen zu beschleunigen, müsse man deutlich mehr in Infrastruktur und Fahrzeuge investieren.
Der SPD-Finanzexperte Nicolas Fink kann denn auch den Pessimismus von Bayaz nicht nachvollziehen. »Zunächst einmal ist es ein Grund zur Freude, wenn die Steuerschätzung des Landes positiv ausfällt«, sagte Fink. »Wenn die Landesregierung aber jetzt schon ankündigt, dass man zögern und zaudern will, wird das dem aktuellen Handlungsbedarf im Land nicht gerecht.« Für die FDP sagte Stephen Brauer, die Spitzen der Koalition versuchten verzweifelt, ihre Leute zum Sparen anzuhalten. »Die Steuerschätzung sei quasi ein Scheinriese, denn am Ende des Jahres wären die Spielräume viel kleiner. Es sagt viel über den Zustand in der Regierung aus, wenn man das schon öffentlich machen muss.«
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