Nach den Bauernprotesten gegen Sparpläne der Bundesregierung hat sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann erstaunt gezeigt, dass die Landwirte nicht auf die Zugeständnisse der Koalition reagiert hätten. »Das ist ja ein ungewöhnlicher Schritt, dass die Bundesregierung in ganz erheblichem Ausmaß ihre Vorhaben zurückgenommen hat«, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart.
Kretschmann sprach von einer »deutlichen Abmilderung« der ursprünglichen Beschlüsse. Man habe Kompromisse machen müssen. Dass die Bundesregierung der Forderung der Bauern nach einer vollständigen Rücknahme der geplanten Einschnitte nachkommen wird, glaubt Kretschmann nicht. »Ich sehe nicht, dass die Bundesregierung da weitere Schritte gehen wird.«
Die Proteste der Landwirte richten sich gegen die Pläne der Ampel-Regierung, die Steuervergünstigung für Agrardiesel auslaufen zu lassen. Die Subvention soll schrittweise wegfallen und ab 2026 gar nicht mehr gezahlt werden. Ein weiterer Vorschlag, die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen zu kippen, ist inzwischen vom Tisch. Am Montag hatten nach Angaben des Innenministeriums Bäuerinnen und Bauern mit rund 33.000 Fahrzeugen bei 389 Aktionen demonstriert. Die Proteste seien weitgehend friedlich und störungsfrei verlaufen. Vereinzelt kam es zu Blockaden, bei denen neben landwirtschaftlichen Fahrzeugen auch Baucontainer, Strohballen und Misthaufen verwendet wurden. Es sei landesweit auf vielen Straßen zu starken Verkehrsbehinderungen gekommen.
Am Dienstag waren nach Angaben des Landesbauernverbands nur regionale Aktionen geplant. Am Morgen gab es nur begrenzt Einschränkungen auf den Straßen. Traktoren blockierten am Dienstagmorgen auf der Bundesstraße 30 die Anschlussstellen Biberach-Nord, Biberach-Süd, Laupheim-Süd und Ulm-Wiblingen, wie die Polizei mitteilte. Im Alb-Donau-Kreis sorgten Aktionen auf der Landstraße 1079 bei Langenau für erhebliche Behinderungen. Weitere Verkehrseinschränkungen im Südwesten waren zunächst nicht bekannt.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir äußerte sich am Dienstagabend bei einem Bürgerdialog in Erlenbach bei Heilbronn zu den Protesten der Landwirte. Deren Ursache sieht der Grünen-Politiker in Jahrzehnten falscher Landwirtschaftspolitik. »Ich glaube, dass der Agrardiesel eigentlich eine Metapher ist für eine Unzufriedenheit, die sich nicht nur auf die letzten zwei Jahre meiner Amtszeit bezieht«, sagte Özdemir.
Stattdessen bezögen sich die Proteste auf die letzten Jahrzehnte der Landwirtschaftspolitik. Für diese seien nicht nur die Grünen, sondern vor allem die CDU verantwortlich gewesen. »Ich war nicht derjenige, der gesagt hat: niedrige Preise und Massenproduktion für den Weltmarkt«, sagte Özdemir. Das Problem sei, dass es in der deutschen Landwirtschaftspolitik eine Philosophie gegeben habe, »die an der Realität zerschellt«.
Özdemir forderte mehr Wertschätzung und auch mehr Geld für Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland. Diese sorgten dafür, dass die Menschen zuverlässig mit Nahrungsmitteln versorgt würden und die Kulturlandschaft gepflegt werde. »Ich finde, wenn die Gesellschaft von der deutschen Landwirtschaft profitiert dann reicht kein Vergelt's Gott«, sagte Özdemir. Landwirte müssten stattdessen ein auskömmliches Einkommen haben. Zuvor hatten Demonstrantinnen und Demonstranten Özdemir mit einem lauten Pfeifkonzert und Buhrufen empfangen und ihren Unmut über Sparpläne des Bundes deutlich gemacht.
Ministerpräsident Kretschmann rief dazu auf, die Privatsphäre von Politikerinnen und Politikern zu achten. Man dürfe Politiker nicht in ihrem Privatleben attackieren, sagte er mit Blick auf Demonstranten, die Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am vergangenen Donnerstag an der Nordseeküste am Verlassen einer Fähre gehindert hatten. »Demonstrationen vor Privatwohnungen gehen überhaupt nicht. Minister in ihrem Urlaub zu beharken, geht überhaupt nicht«, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Jeder müsse die Privatsphäre des anderen respektieren. »Das ist absolut notwendig, sonst läuft wirklich was aus dem Ruder«, sagte Kretschmann. Wer sich daran nicht halte, verletze die Grenzen des Anstands.
Er zeigte sich zudem besorgt, dass Demonstrationen immer radikaler werden. »Ich mache mir persönlich Sorgen darum, dass die Militanz zunimmt«, sagte Kretschmann in Stuttgart. »Wenn man mit schwerem Gerät demonstriert, stellt das schon Fragen an den Staat.« Man müsse überlegen, wie man damit umgehe. Er habe auf diese Fragen noch keine Antworten, beschäftige sich aber gerade damit.
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