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Kretschmann: Gas-Embargo verhindert Gräueltaten nicht

Schätzungsweise mehrere Hundert Millionen Euro bekommt Russland aus der EU für Energie - pro Tag. Nach den Berichten über Kriegsverbrechen durch russische Truppen in der Ukraine wird über ein Embargo gestritten. Winfried Kretschmann überrascht der Zeitpunkt.

Ministerpräsident Kretschmann
Winfried Kretschmann bei einer Regierungs-Pressekonferenz im Landtag. Foto: Marijan Murat
Winfried Kretschmann bei einer Regierungs-Pressekonferenz im Landtag.
Foto: Marijan Murat

Ein sofortiger Stopp der Gas-Importe verhindert nach Ansicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann Gräueltaten wie die jüngsten Verbrechen in der ukrainischen Stadt Butscha nicht. »Ich kann jetzt nicht erkennen, was das Begehen solcher Verbrechen mit Gaslieferungen zu tun hat«, sagte der Regierungschef am Dienstag in Stuttgart. Wer Gewalt wie diese ausübe, lasse sich durch aktuelle Maßnahmen nicht davon abhalten. Es sei »ziemlich abwegig«, einen solchen Zusammenhang herzustellen, sagte Kretschmann.

Nach dem Abzug russischer Truppen aus Butscha waren in dem Vorort von Kiew viele Tote an Straßenrändern, in Kellern und in Häuserruinen entdeckt worden. In der Ampelkoalition wird seit den ersten Berichten und Fotos dieser Leichen vermehrt über einen sofortigen Stopp von Energielieferungen aus Russland diskutiert. Die Bundesregierung will den Schritt aber aus Sorge vor den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft nicht gehen.

Kretschmann äußerte sich schockiert über die jüngsten Neuigkeiten aus der Ukraine. »Das sind doch Menschheitsverbrechen, von denen wir glaubten, dass es sowas in Europa nicht mehr geben wird«, sagte er. »Das ist Ausdruck einer imperialen Politik, die vor nichts zurückschreckt.« Es handele sich um »abscheuliche Kriegsverbrechen«, die »auf das Konto von Putin und seiner Regierung« gingen und geahndet werden müssten. Die europäischen Sanktionen seien wichtig, um »diesem barbarischen Treiben ein Ende zu setzen«.

Allerdings könnten die Sanktionen den direkten Verlauf des Krieges nicht beeinflussen. »Dieser Krieg ist schon bezahlt«, zitierte Kretschmann eine Expertin aus einer Anhörung. Ein Importstopp werde unmittelbar nichts daran ändern, wie sich Russland in der Ukraine verhalte. Entscheidend sei es nun, der Ukraine die Waffen zu liefern, die das Land benötige, forderte er. »Das kann aktuell das Geschehen direkt beeinflussen.«

Die Europäische Union ist gespalten in der Debatte über einen drastischen Schritt wie einen sofortigen Stopp der Gas-Importe aus Russland. Nach Schätzung der Brüsseler Denkfabrik Bruegel geben die EU-Staaten täglich rund 380 Millionen Euro für russisches Gas und etwa 360 Millionen Euro für Öl aus. Kritiker sehen darin eine indirekte Mitfinanzierung des Krieges in der Ukraine. Das EU-Land Litauen kommt bereits jetzt ganz ohne russisches Gas aus. Seit dem Wochenende deckt der baltische 2,8-Millionen-Einwohner-Staat seinen gesamten Bedarf über ein Flüssigerdgas-Terminal in der Ostsee.

Deutschland hat dagegen im vergangenen Jahr laut Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe über 50 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland bezogen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ist dieser Anteil auf gut 40 Prozent gesunken.

Die Bilder aus Butscha hatten weltweit großes Entsetzen ausgelöst. In der Kiewer Vorortgemeinde waren am Wochenende nach dem Rückzug der russischen Truppen Hunderte Leichen entdeckt worden. Einige lagen mit gefesselten Händen auf der Straße. Auch in anderen Gemeinden in der Umgebung Kiews wurden Todesopfer entdeckt. Die Ukraine macht für die vielen Toten in Butscha russische Truppen verantwortlich. Moskau bestreitet das und spricht von »Fälschung«.

© dpa-infocom, dpa:220405-99-804485/3