Baden-Württemberg muss aus Sicht der Landesbank LBBW mehr in den sozialen Wohnungsbau, die Klimawende und eine gerechte Bildung investieren. Teure Mieten und Wohnungsmangel seien im Südwesten ein echtes Problem, hier müsse die Landesregierung stärker gegensteuern. »Die Pläne beim Wohnungsbau sind zwar alle schön und gut, aber das ist einfach viel zu wenig. Wir haben zu wenig Wohnraum, der erschwinglich ist«, sagte Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
Es könne eine Chance sein, wenn das Land für Flüchtlinge aus der Ukraine sowieso neuen Wohnraum schaffen müsse. »Wir müssen uns darauf einstellen, dass die ukrainischen Flüchtlinge bleiben. Die müssen irgendwo wohnen und arbeiten. Und wenn sie dann doch wieder gehen sollten, dann haben wir die Wohnungen, die wir sowieso brauchen«, sagte der Chefökonom der größten deutschen Landesbank.
Das Land fördert sozialen Wohnungsbau. Vermieter müssen sich im Gegenzug verpflichten, die Wohnungen Menschen mit Berechtigungsschein zu preisgünstigeren Mieten anzubieten - allerdings nur für einen bestimmten Zeitraum.
Er beklagte, dass der Bildungserfolg junger Menschen noch immer stark vom Geldbeutel der Eltern abhänge. »Was mir sehr große Sorgen macht, ist, dass wir sehr wenig soziale Mobilität haben in Deutschland. Wer in Deutschland als Kind in eine arme Familie geboren wird, ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit selber arm, wenn er erwachsen ist als anderswo.«
Langfristige Standortsicherung bedeute auch, mehr junge Menschen in eine gute Ausgangsposition für einen guten Job zu bringen. Die Zahl junger Menschen, die keine gute Ausbildung haben, sei viel zu hoch.
Der Chefvolkswirt forderte die grün-schwarze Regierung zudem auf, den Umbau hin zur Klimaneutralität konsequent zu unterfüttern und zu fördern. »Eine Landesregierung sollte alles tun, um beispielsweise die Effizienz von Gebäuden, die ein großer CO2-Treiber sind, insgesamt zu erhöhen«, sagte Kraemer.
Aber nicht nur die Politik sei in der Pflicht, die Transformation voranzutreiben, sondern auch die Unternehmen: Vor allem die Automobilhersteller müssten noch schneller auf umweltfreundliche Antriebe umstellen. Für einen Zulieferer, der die weltbesten Auspuffanlagen mache, sei das schwer.
»Die Produkte werden in der Form und in der Menge einfach nicht mehr nachgefragt werden. Und das hat überhaupt nichts mit Russland zu tun. Das hat auch nichts mit China zu tun. Das hat was mit Klimawandel zu tun und es wäre so oder so gekommen.« Kraemer betonte: »Nur jetzt kommt das alles ein bisschen schneller und bedeutet, dass wir diese Herausforderung jetzt noch beherzter annehmen müssen.«
Der Chefvolkswirt zeigte sich überzeugt, dass der Südwesten immer industrielles Zentrum bleiben werde. »Wir können natürlich jetzt nicht plötzlich Stuttgart in New York verwandeln und eine komplett andere Palette an Produkten und Dienstleistungen anbieten.« Die Unternehmen hätten eine Expertise, die wertvoll sei, »die muss sich aber weiterentwickeln«. Kraemer erklärte: »Die deutschen Autobauer haben einen ordentlichen Marktanteil in China, aber nur beim Verbrenner. Bei der E-Mobilität sind sie nur eine Fußnote.«
Dafür trage auch die Politik eine gewisse Verantwortung: »Es ist nicht das erste Mal, dass eine Branche vielleicht auch unter Ermutigung der Politik die Zeichen der Zeit einfach nicht früh genug erkannt hat und an dem alten, liebgewonnen Modell festgehalten hat.«
Es sei »wenig hilfreich« gewesen, dass die Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren immer wieder in Brüssel im Namen der Autoindustrie vorgesprochen habe, um die Schadstoffgrenzwerte abzumildern. »Das heißt, man hat hier versucht, das, was auf jeden Fall kommen wird und kommen muss, zeitlich zu verzögern und damit die Industrie dazu eingeladen, die Herausforderung nicht mit der gebotenen Intensität anzunehmen.«
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