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Koalition verteidigt Haushaltsplanung: »work in progress«

Erneut verteidigt die Landesregierung ihre Zahlen für einen Haushalt und spricht von Not und Druck, ein weiteres Mal zetert die Opposition im Landtag angesichts der Pläne. Dabei sei es höchste Zeit, die ganze Struktur in Frage zu stellen, warnt der Bund der Steuerzahler.

Landtagssitzung in Stuttgart
Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen), Finanzminister, spricht im Landtag bei einer Plenardebatte. Foto: Bernd Weißbrod
Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen), Finanzminister, spricht im Landtag bei einer Plenardebatte.
Foto: Bernd Weißbrod

Die Energie-Krise, die steigenden Preise und die Belastungen für Bund und Länder bringen die Planung des Landeshaushalts nach Ansicht der grün-schwarzen Koalition ordentlich ins Wanken. »Wir werden noch weitere Teile des Entlastungspakets finanzieren müssen«, sagte der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz am Mittwoch im Stuttgarter Landtag. Das Wohnungs- und das Bürgergeld müssten ebenso vom Land mitgetragen werden wie die Anteile des Südwestens am sogenannten 49-Euro-Ticket mit rund 180 Millionen Euro im Jahr und die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen.

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz verteidigte die grün-schwarze Koalition angesichts der jüngsten Änderungen in den Finanzplanungen. »Noch nie haben wir einen Haushalt beraten, der in einem solchen Maße davon gekennzeichnet ist, dass wir nicht wissen, was noch auf uns zukommt«, sagte er bei der Haushaltsdebatte. Erst nach der Einbringung des Doppelhaushalts für die Jahre 2023/2024 sei die Herbst-Steuerschätzung vorgelegt worden, zudem herrsche eine »Epoche der Unsicherheit«. Diese habe »einige Grundparameter für den Haushalt noch einmal deutlich verändert«, sagte Schwarz. Der Haushalt sei ein »work in progress« (eine fortlaufende Arbeit), sagten sowohl Schwarz als auch Bayaz.

Das sieht CDU-Fraktionschef Manuel Hagel ähnlich: »Nichts ist unberechenbarer als die Dynamik einer Krise«, sagte er. »Das heißt für uns: Wir müssen uns in die Lage versetzen, reagieren zu können.« Haushaltspolitik in Krisenzeiten sei immer eine »Rechnung mit mindestens einer Unbekannten«. Die Hilfen für die belasteten Unternehmen seien aber gerechtfertigt. Das Land nehme viel Geld in die Hand, sagte er und erklärte: »Was uns jetzt die Hilfen kosten, wird weitaus weniger sein, als wenn ganze Wirtschaftszweige wegbrechen - wenn die Deindustrialisierung in unserem Land vom Alptraum zur Realität wird.« Es müsse klar sein, dass man Härten abfedern werde. Aber der Staat könne auch nicht jede Härte mildern.

Die Koalition hatte zuletzt angekündigt, zur Bewältigung der Krise im kommenden Jahr nun doch neue Schulden zu machen. Wegen der absehbar schlechteren Konjunktur will die Regierung im Rahmen der Schuldenbremse neue Kredite in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro aufnehmen. Damit soll nach Angaben des Finanzministeriums die Rücklage gestärkt werden, um weitere Steuerausfälle ausgleichen zu können. Zudem erhalte die Regierung dadurch Spielraum, selbst ein Hilfspaket zu schnüren.

Dagegen ließen die Oppositionsfraktionen wie erwartet kein gutes Haar an den vorgelegten Zahlen der Koalition. Die SPD warf der Regierung vor, zu wenig und an falscher Stelle zu investieren. »Die Zeiten sind schwierig, aber die Kassenlage ist nicht schlecht«, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. »Es ist also schlicht falsch, beim Blick auf den Haushalt immer nur von den schlechten Zeiten zu reden.«

Allein nach der jüngsten Steuerschätzung ständen geschätzte 2,5 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen ins Haus. Das Land habe ausreichende Mittel und müsse sie in Entlastungen, eine Förderung für Kinder und Jugendliche und ein Investitionsprogramm unter anderem für die Unternehmen investieren. Die aktuelle Krise sei für die Wirtschaft weit bedrohlicher, als es die Pandemie gewesen sei, sagte Stoch und forderte einen »seriösen Kassensturz, bei dem niemand versucht, dieses Land ärmer zu rechnen, als es ist«.

Finanzminister Bayaz warf Stoch daraufhin »unseriöse Luftbuchungen« vor. »Wir können mit der Steuerschätzung die steuerlichen Auswirkungen des dritten Entlastungspakets gerade so stemmen«, sagte Bayaz.

Für die FDP stellte deren Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke unter anderem die zusätzlichen Stellen in den Landesbetrieben in den Mittelpunkt seiner Kritik. Das Personal habe 2011 noch einen Umfang von 37 089 Stellen gehabt, im kommenden Jahr sei es rund ein Drittel mehr. Besonders heftig sei die Entwicklung in den Ministerien selbst. »Leuchtendes Negativbeispiel« sei die Regierungszentrale, das Staatsministerium.

Nach Ansicht des Steuerzahlerbunds muss die Regierung ihren Haushalt sogar in den Grundfesten überdenken. »Die Haushaltsplanungen insgesamt laufen eigentlich seit einiger Zeit in die falsche Richtung. Wir haben ein strukturelles Problem im Haushalt«, sagte Landeschef Eike Möller der Deutschen Presse-Agentur. Das Land habe immer mehr Personal aufgebaut und werde das im neuen Etat erneut tun, monierte auch er. Zwar seien einzelne Stellen gut begründet. »Aber das führt in der Summe dazu, dass der Haushalt an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gerät.«

Das Land habe die Menschen auf eine Zeitenwende vorbereitet und Zumutungen angekündigt, kritisierte er. »Das hätte man dann gerne auch beim Land gesehen«, sagte er. »Eine strukturelle Neuaufstellung des Haushalts können wir aber nicht erkennen und das überrascht mich.« Möller schlägt eine Fachkommission vor, die den Haushalt durchforstet und prüft, welche Ausgaben zwingend notwendig sind und auf was in diesen strengeren Zeiten verzichtet werden kann.

Für die AfD beweisen der bisherige Haushaltsentwurf und die neuen Kredite Bayaz' »fehlende Seriosität«, wie ihr Fraktionschef Bernd Gögel sagte. Prinzipien wie die Schuldenbremse gälten in Krisenzeiten offenbar nur noch wenig. »Dabei stellt sich doch die nicht unwesentliche Frage, ob nicht gerade in Zeiten der Krise der Staat durch die Einhaltung fester Regeln Handlungsfähigkeit beweisen sollte«, sagte Gögel.

© dpa-infocom, dpa:221109-99-450905/2