Die Spitzen der grün-schwarzen Koalition haben sich auf grundlegende Bildungsreformen geeinigt. Das verkündete Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Man werde damit die Schullandschaft voranbringen, sagte der Regierungschef.
Unter anderem will die Koalition den Werkrealschulabschluss abschaffen und erreichen, dass sich bestehende Werkrealschulen mit Realschulen zu einer Verbundrealschule zusammenschließen. Das geht aus einem Papier hervor, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zuvor hatten mehrere Medien über die Einigung berichtet. Im vergangenen Schuljahr gab es in Baden-Württemberg noch 229 öffentliche Haupt- und Werkrealschulen, fünf Jahre zuvor waren es noch 583. Mit der Abschaffung des Abschlusses und den angestrebten Schulverbünden will die Koalition die Komplexität des Schulsystems reduzieren.
Der Werkrealschulabschluss ist ein mittlerer Bildungsabschluss und damit dem Abschluss der Realschule gleichgestellt. Er kann an den Werkrealschulen nach der zehnten Klasse abgelegt werden. Zudem haben Schülerinnen und Schüler auf der Werkrealschule die Möglichkeit, nach Klasse 9 oder nach Klasse 10 den Hauptschulabschluss zu machen.
G9 soll ab dem Schuljahr 2025/2026 kommen
Dem Papier zufolge hat sich die Koalition auch auf konkrete Details zur Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium geeinigt. G9 soll der Einigung zufolge zum Schuljahr 2025/2026 eingeführt werden und mit den Klassen fünf und sechs starten. Die Gymnasien sollen außerdem die Option erhalten, G8-Züge anzubieten.
Verständigt hat sich Grün-Schwarz zudem darauf, die Grundschulempfehlung wieder verbindlicher zu gestalten. Sie soll demnach künftig aus drei Komponenten bestehen: Lehrerempfehlung, Leistungstest und Elternwunsch. Stimmen zwei aus drei überein, soll das den Ausschlag geben. Wollen die Eltern ihr Kind dennoch aufs Gymnasium schicken, soll das Kind künftig einen weiteren Test absolvieren.
Mehr Ganztagsgrundschulen, vor allem in Brennpunkt-Gegenden
Einig sind sich die Koalitionspartner ferner, dass es mehr Ganztagesgrundschulen geben soll. Das Kultusministerium solle ein Konzept zur Ausweitung des verbindlichen Ganztags vorlegen, heißt es in dem Papier. Grundschulen in Brennpunkt-Gegenden sollen zu verbindlichen Ganztagesschulen werden. Die Gemeinschaftsschulen sollen mit zusätzlichen Stunden für Coaching-Angebote gestärkt werden, zudem will die Koalition Gemeinschafts- und Realschulen eine starke Berufsorientierung und lebenspraktische Profilierung geben.
Kretschmann wollte sich zu den Details der Einigung am Dienstag nicht äußern. Zunächst sollten noch die Fraktionen informiert werden. Die Einigung mit dem Koalitionspartner übertreffe aber seine Erwartungen, sagte Kretschmann. Man habe sich »in einer sehr breiten Form über die ganz wichtigen Fragen geeinigt«. Was noch ausstehe, sei die Finanzierung und diese sei entscheidend.
Mit der Einigung will die Koalition Kretschmann zufolge in die zweite Runde der Bildungsgespräche mit der Opposition von SPD und FDP gehen. Die sogenannte Bildungsallianz trifft sich am Donnerstag in Bebenhausen bei Tübingen zum zweiten Mal, um über Bildungsreformen zu verhandeln, die über Legislaturperioden hinaus Bestand haben sollen.
Kretschmann: Werde mit Opposition keine Haushaltsverhandlungen führen
Sollten SPD und FDP bei dem Treffen Vorschläge vorbringen, die CDU und Grüne überzeugten, sei man dafür selbstverständlich offen, sagte Kretschmann. Er werde am Donnerstag aber mit der Opposition keine Haushaltsverhandlungen führen. »Jeder kann Vorschläge machen, die Geld kosten. Das ist ja nicht verboten. Das dann zu finanzieren, ist aber Aufgabe der Koalition«, sagte Kretschmann. Sollte es bei den Gesprächen mit SPD und FDP zu keiner Einigung kommen, werde man die Vorschläge der Koalition umsetzen. »Wenn wir uns nicht einigen mit der Opposition, dann setzen wir das um«, sagte Kretschmann.
Die Einigung von Grün-Schwarz ist bereits die zweite im Bildungsbereich innerhalb kurzer Zeit. Eigentlich hatte Grün-Schwarz im Koalitionsvertrag vereinbart, keine Debatten zur Schulstruktur führen zu wollen. In der vergangenen Woche hatte Grün-Schwarz bereits eine Einigung im Bereich der frühkindlichen Bildung vermeldet und ein Programm zur Sprachförderung an Kitas und Grundschulen vorgestellt.
Damit sollen Kinder mit Sprachproblemen frühzeitig gefördert werden. So sollen Kinder unter anderem bereits im Jahr vor der Einschulung eine verpflichtende Sprachförderung von vier Stunden pro Woche erhalten, sofern bei ihrer Einschulungsuntersuchung ein Förderbedarf festgestellt wurde. Sprechen die Kinder danach noch immer nicht ausreichend Deutsch, um eine Grundschule besuchen zu können, sollen sie ab dem Schuljahr 2026/2027 in sogenannten Juniorklassen gefördert werden.
Für das Programm rechnet die Koalition im kommenden Doppelhaushalt mit Kosten in Höhe von 100 Millionen Euro pro Jahr. Es soll in den kommenden Jahren Schritt für Schritt umgesetzt werden. Erste Maßnahmen sollen dem Konzept zufolge im kommenden Schuljahr greifen. Der Endausbau ist demnach für das Jahr 2028/2029 vorgesehen.
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