STUTTGART. Zwei Unfälle mit toten Radfahrern in Mannheim innerhalb weniger Tage - das sind Meldungen, die aufhorchen lassen. Nicht nur in der Quadratestadt nimmt die Zahl der Unfälle mit Radfahrern stark zu. In ganz Baden-Württemberg geht der Trend in diese Richtung. 2018 gab es laut Innenministerium rund 10.000 verletzte Radler, darunter die traurige Rekordzahl von 68 (2017: 45) Toten. Rund 2000 Menschen wurden schwer verletzt.
In den ersten zehn Monaten dieses Jahres lag der Gesamtwert bei 8800, darunter 56 Tote. Im Schnitt von 2014 bis 2016 lag die Zahl bei jährlich 8500. »Zwar ist jeder verletzte Radfahrer einer zu viel, aber die Zahlen steigen entsprechend dem wachsenden Zweirad-Verkehr«, sagt die Landeschefin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Gudrun Zühlke. »Die Welt ist nicht gefährlicher geworden.«
Einer der tödlichen Unfälle in Mannheim war typisch für die sogenannten Alleinunfälle, die etwa die Hälfte aller Unfälle ausmachen: Ein 61-Jähriger stürzt - vermutlich wegen gesundheitlicher Probleme - vom Rennrad und stirbt an den Folgen. »Wir müssen die Fähigkeiten und die Fahrsicherheit der Menschen verbessern«, ist Zühlke überzeugt. Dabei gehe es um Fahrtechnik beim Überqueren von Bordsteinen, um Ausweichmanöver und um Kenntnis besonderer Gefahrenquellen. Hierzu gehören etwa die großen Türen des Smarts, die beim Öffnen Radlern oftmals in die Quere kommen. Um nicht in die »Dooring-Zone« zu gelangen, sollten Radler einen Meter Abstand von parkenden Autos halten, rät die Verbandschefin.
Für die Autofahrer wiederum sei es oft schwierig, den beim Überholen erforderlichen Abstand zum Rad abzuschätzen. Um das Bewusstsein für einen Abstand von eineinhalb Metern zu schärfen, müsse das Verkehrsministerium eine Kampagne ins Leben rufen. Insbesondere Pedelec-Fahrer seien Kandidaten für Fahrsicherheitstrainings.
Das seien oft Senioren, die ans Radfahren nicht mehr gewöhnt sind. »Die sollten sich erst langsam ans Rad, die Scheibenbremse, den Motor und das Tempo von bis zu 25 Kilometern in der Stunde herantasten«, meint Zühlke. Gemeinsam mit dem Württembergischen Radsportverband bietet der ADFC ab 2020 Training in vier Landkreisen an: Tübingen, Böblingen, Konstanz und Rems-Murr. In drei Jahren sollen Pedelec-Fahrer im ganzen Land Schulungen absolvieren können. Unter den 56 toten Radlern bis Oktober waren 19 Pedelec-Fahrer.
Einen anderen Aspekt hebt die Mannheimer Polizei mit Blick auf die dort um ein Fünftel gestiegene Zahl von 400 Radunfällen 2018 hervor. Diese seien nicht allein auf rücksichtsloses Verhalten von Autofahrern gegenüber Radfahrern zurückzuführen. Häufig missachteten auch Radfahrer Verkehrsregeln.
Der ADFC nennt als zweites großes Hindernis für Radfahrer die Infrastruktur. Womöglich hatte damit auch die 76-Jährige Radlerin in Mannheim zu kämpfen, die kürzlich beim Überqueren des Gleisbereichs eine Kollision mit einer Straßenbahn nicht überlebte. Zühlke: »Die Fallstricke fangen bei Pfosten und Schlaglöchern auf Radwegen an gehen bei Umlaufgittern weiter und hören bei Straßenbahnschienen auf.«
Auch E-Ladestationen, Baustellen, Falschparker und Verkehrsschilder machen den Radlern zu schaffen. Die Kommunen seien äußerst zögerlich, vor allem kleinere Gefahrenstellen zu beheben. »Da muss der ADFC erst mehrere Jahre Kontakt aufnehmen, dann zwei Jahre lang insistieren und nach fünf Jahren ist die Bordsteinkante dann vielleicht abgesenkt.«
Ein Brennpunkt sind Kreuzungen, an denen das abbiegende Fahrzeug und das geradeaus fahrende Rad zu gleicher Zeit Grün haben. Radfahrer drohten dann in den toten Winkel der Autos, vor allem der Lkw, zu geraten. »Diese Konstellation kostet im Schnitt bundesweit 40 Radfahrer im Jahr das Leben«, sagt Zühlke. Für Lkw dürfe beim Abbiegen nur die Schrittgeschwindigkeit gelten. Das sei auch im Entwurf für die Novelle der Straßenverkehrsordnung vorgesehen. Überdies sollte für alle Lkw die Ausrüstung mit einem Abbiegeassistenten verpflichtend sein, fordert sie.
Das Tragen von Radhelmen steht derweil nicht weit oben auf der Agenda des ADFC. Zühlke: »Unser Schwerpunkt ist, bei der Politik für bessere Infrastruktur zu werben. Das Tragen von Helmen ist Privatsache.« (dpa/lsw)