Bei einer Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus hat Landtagspräsidentin Muhterem Aras die Demonstrationen gegen rechts der vergangenen Tage gelobt. Aber sie müssten sich noch deutlicher gegen Antisemitismus richten, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag in Karlsruhe. »Es heißt immer: Wehret den Anfängen«, sagte Aras. »Und die Zeit, sich zu wehren, ist jetzt!«
Der Antisemitismus sei leider nie verschwunden gewesen. »Aber er ist neu aufgeflammt. Immer öfter, immer unverhohlener tritt er zutage«, sagte Aras. Die Gesellschaft müsse deutlich machen, dass sie das nicht dulde. »Nicht von rechts, nicht von links, nicht aus der Mitte der Gesellschaft und nicht aus muslimischen Kreisen.«
Ohne die AfD konkret zu nennen, sagte Aras, seit Monaten gewinne eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei an Zuwachs und Zuspruch. »Eine scheinheilige Partei, die den Judenhass nur dann verurteilt, wenn sie dafür Hass gegen Muslime schüren kann«, sagte Aras. »Die «Remigration» in ihre Programme schreibt, aber Deportation meint.«
Appell an jeden Einzelnen
Nie wieder dürften Menschenfeinde in diesem Land an die Macht kommen, forderte die Landtagspräsidentin. »Jede und jeder Einzelne ist in der Pflicht, das zu verhindern, aufzustehen und Haltung zu zeigen.« Sei es im Parlament oder auf dem Pausenhof, am Küchentisch oder in der Kneipe. »Nur so bewährt sich und bewahrt sich unser Grundgesetz.«
Das Holocaust-Gedenken des Landtags im Konzerthaus nutzte Aras auch, um an die Opfer des Anschlags der Islamistenorganisation Hamas im Herbst in Israel zu erinnern: »Auch um die Opfer des 7. Oktobers trauern wir heute.« Israel sei für Jüdinnen und Juden weltweit nach Tausenden Jahren von Judenhass, nach Verfolgung und Vernichtung ein Zufluchtsort geworden, ein möglichst sicherer Hafen. Doch seit dem 7. Oktober gelte eine neue Zeitrechnung, sagte Aras. »Der sichere Hafen wurde in den Krieg gestürzt, der Staat Israel tief verwundet.«
Aras kritisierte, schon kurz nach dem Angriff hätten die ersten den Terror mit »Ja, aber« relativiert. »Beschämenderweise auch hier, in Deutschland«, sagte sie. »Es gibt kein Aber. Keine Rechtfertigung für die Bluttaten der Hamas. Mit keiner einzigen Silbe!«
Opfergruppe aus Baden im Fokus
In diesem Jahr widmete der Landtag die Gedenkstunde anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar vor 79 Jahren den badischen Jüdinnen und Juden, die zu den Opfern der ersten großen Deportationsaktion im Deutschen Reich gehörten. Am 22. Oktober 1940 war die jüdische Bevölkerung aus Baden und der damaligen Saarpfalz mit neun Eisenbahnzügen in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert worden. Nach Angaben der Landesregierung gilt die sogenannte Wagner-Bürckel-Aktion - benannt nach den damaligen Gauleitern - als erste systematische Deportation von Jüdinnen und Juden und als Testlauf für die Deportationen in Vernichtungslager.
Von den 6576 Deportierten stammten demnach 5617 aus Baden. Von Gurs aus seien die Menschen in weitere Außenlager gebracht worden. Viele von ihnen seien geschwächt auf dem Weg in diese Lager gestorben. Sie seien jeweils vor Ort bestattet worden. Weitere seien schließlich in den Vernichtungslagern in Osteuropa ermordet worden, »nur wenige überlebten - zum Teil mit Hilfe der französischen Résistance«.
Infos zur Deportation der jüdischen Bevölkerung nach Gurs
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