Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland suchen wegen der hohen Energiepreise zunehmend Hilfe bei professionellen Schuldnerberatungen. »Wir bekommen mehr Menschen in die Beratung, die vorher nicht bei uns waren«, sagte Eva Müffelmann, Vorständin bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur am Rande eines Treffens in Freiburg. Auch die Mittelschicht der Gesellschaft sei mittlerweile betroffen.
Ein ähnliches Bild zeichnen die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie im Südwesten. Es gebe immer mehr Geld- und Existenzsorgen.
»Wer bisher bereits arm oder von Armut bedroht war, ist von der aktuellen Krise am stärksten betroffen. Zunehmend rutschen aber auch Menschen aus der Mittelschicht in Armut«, sagte Annette Holuscha-Uhlenbrock vom Vorstand des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die Verbände beobachten demnach eine »neue Armut«, die es so vorher nicht gegeben habe.
Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte bei der Freiburger Tagung per Video, gestiegene Energie- und Lebenshaltungskosten träfen besonders Menschen mit niedrigem Einkommen »Der Bedarf an Beratung war wahrscheinlich noch nie so groß wie jetzt, damit Menschen nicht in die Überschuldung geraten oder wieder aus den Schulden herausfinden«, sagte sie nach Angaben ihres Ministeriums.
Lemke wies auf die Gas- und Strompreisbremsen hin, die im März eingeführt wurden und aus einem bis zu 200 Milliarden Euro schweren Sondertopf des Bundes finanziert werden. Laut Lemke gelten rund sechs Millionen Menschen in Deutschland als überschuldet. Von Überschuldung spricht man, wenn Einkommen und Vermögen auch bei einem reduzierten Lebensstandard nicht mehr ausreichen, Verbindlichkeiten zu tilgen.
Die Schuldnerberatungen warnten vor einer Zunahme der Privatinsolvenzen. Durch eine Verbraucherinsolvenz können sich Privatleute von ihren Schulden befreien, auch wenn sie nicht alles zurückzahlen können. Am Ende steht die sogenannte Restschuldbefreiung. Es gab im vergangenen Jahr nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Crif gut 96.300 Fälle privater Insolvenzen. Das waren knapp 12 Prozent weniger als im Jahr 2021.
»Ich frage mich, wo die Hilfen der Landesregierung sind, um arme Menschen und das Wirken der sozialen Dienste zu unterstützen«, kritisierte die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Dorothea Kliche-Behnke. Und auch der sozialpolitische Sprecher der FDP/DVP-Fraktion, Niko Reith, sagte, die Landesregierung müsse das Thema endlich ernst nehmen.
»Die beste Strategie gegen Armut besteht darin, arbeitende Menschen endlich zu entlasten und die Zuverdienstmöglichkeiten von Menschen in der Grundsicherung deutlich anzuheben«, schlägt die sozialpolitische AfD-Fraktionssprecherin Carola Wolle vor.
Der Bundesarbeitsgemeinschaft vertritt nach eigenen Angaben ein bundesweites Netzwerk von etwa 1200 Beratungsstellen. Laut Geschäftsführerin Ines Moers lassen sich rund 600.000 Menschen im Jahr beraten.
Pressemitteilung Wohlfahrtsverbände
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