Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann hat eine Verschiebung der Inbetriebnahme des Bahnprojektes Stuttgart 21 zugunsten ausreichender Testläufe ins Spiel gebracht. Durch Verzögerungen beim Bau und beim Einbau der digitalen Infrastruktur bleibe keine Zeit, den Bahnknoten ausreichend zu testen. Diese Tests brauche es aber im Vorfeld für einen stabilen Start, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. »Es wäre eine Möglichkeit, dass man Ende 2025 mit dem Erproben und Üben anfängt - und wenn es dann sitzt, macht man erst den Wechsel und nicht vorher«, sagte Hermann, der bereits mehrfach vor einem »Holperstart« gewarnt hatte.
Bei der Inbetriebnahme handele es sich um einen extrem komplexen Vorgang, sagte Hermann. Es gebe eine komplett neue Infrastruktur, neue Fahrzeuge, neue Technologie, neue Mitarbeiter und einen komplett neuen Fahrplan. »Wenn man schon weiß, dass die Fahrpläne so komplex sind, dass sie häufig holpern, ist es geradezu unmöglich, dass das alles auf Anhieb gelingt«, sagte Hermann. Deshalb brauche es eine ausreichende Testphase.
Ein Bahnsprecher betonte, die Inbetriebnahme des künftigen Stuttgarter Hauptbahnhofs sei weiterhin für Dezember 2025 vorgesehen. »Es handelt sich um die komplexeste Inbetriebnahme eines neuen Eisenbahnknotens der vergangenen Jahrzehnte mit deutschlandweiten Auswirkungen und ist beispiellos in Europa«, sagte der Sprecher. Oberstes Ziel der Bahn sei, dass die Fahrgäste immer einen stabilen Fahrplan hätten.
Die Entscheidung darüber, ob der Bahnhof wie geplant Ende 2025 in Betrieb genommen wird, muss bis spätestens Juni gefällt werden. Grund dafür ist, dass 18 Monate vorher der Fahrplan konkret festgelegt wird.
In den vergangenen Monaten waren Zweifel aufgekommen, ob der Termin für die Inbetriebnahme zu halten ist. Anfang Dezember hatte die Deutsche Bahn, Bauherrin des Projekts, über Probleme beim Einbau der digitalen Infrastruktur berichtet. Es seien mehrere Meilensteine nicht erreicht worden, hatte der DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber damals gesagt. Die Bahn hatte deswegen 60 eigene Mitarbeiter zusätzlich in das Projekt integriert, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen.
Im Zuge von Stuttgart 21 soll die Region Stuttgart bis Ende 2025 zum ersten digitalisierten Bahnknoten Deutschlands ausgebaut werden. Züge des Fern- und Regionalverkehrs sowie S-Bahnen sollen dann mit dem digitalen Zugsicherungssystem ETCS fahren - und zwar nur damit. Klassische Lichtsignale werden im Stuttgarter Bahnknoten nicht mehr verbaut.
Diese Technik ist aus Sicht von Verkehrsminister Hermann auch zwingend nötig. Die Leistungsfähigkeit des Knotens und die Erwartungen, die man an ihn habe, könnten nur mit der Digitalisierung des Knotens erfüllt werden, sagte Hermann. »Wenn er nicht käme, würde die Leistungsfähigkeit deutlich schlechter werden. Dann wäre der Bahnhof das, was wir immer befürchtet haben: ein Engpass.«
Das Projekt Stuttgart 21 steht für die komplette Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart, nicht nur für den Umbau des Hauptbahnhofs der Landeshauptstadt. Gebaut werden neue Bahnhöfe, Dutzende Kilometer Schienenwege und Tunnelröhren, Durchlässe sowie Brücken. Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm schließt neben Stuttgart 21 auch den Neubau der bereits eröffneten Strecke Wendlingen-Ulm ein.
Die Kosten für das Projekt Stuttgart 21 taxiert die Bahn derzeit auf rund elf Milliarden Euro. In den vergangenen Jahren hatte es mehrfach deutliche Kostensteigerungen gegeben. Wer die Mehrkosten bezahlen muss, ist nicht klar geregelt. Die Bahn hat deswegen die Projektpartner - das Land, die Stadt Stuttgart, den Verband Region Stuttgart und den Flughafen Stuttgart - auf eine Beteiligung an den Mehrkosten verklagt. Im April soll das Verfahren vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht fortgesetzt werden.
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