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Heiterer Abend endet in Krankenhaus und Zelle

Mit guter Laune und Alkohol beginnt ein Herbstabend für drei Männer. Für einen endet er lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus, für einen anderen in einer Zelle. Die Staatsanwaltschaft ging von Mordlust aus, das Tübinger Landgericht urteilte nun anders.

Justitia
Blick auf die Justitia über dem Eingang eines Landgerichts. Foto: Hendrik Schmidt
Blick auf die Justitia über dem Eingang eines Landgerichts.
Foto: Hendrik Schmidt

Ob es am Ende der Streit um das Jugendwort »Digga« oder doch etwas anderes war, das zum versuchten Totschlag führte, konnte das Landgericht Tübingen am Freitag nicht klären. Dass ein 25-Jähriger im Herbst einen versuchten Totschlag mit schwerer Körperverletzung begangen hat, sah die Kammer dagegen als erwiesen an. Sie verurteilte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.

Außerdem muss er den Geschädigten Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 und 1000 Euro zahlen. Vom Vorwurf der Mordlust, den die Staatsanwaltschaft erhoben hatte, rückte das Gericht ab.

Während der Verhandlung verzog der 25-Jährige keine Miene. Die Haare oben nach hinten gegelt, die Seiten rasiert, saß er auf der Anklagebank. Er sei kein unbeschriebenes Blatt, »erheblich vorbestraft« und seine Rückfallzeit sei kurz gewesen, sagte der Richter. Erst im August 2021 war der Angeklagte demnach aus der Haft entlassen worden.

Nach Ansicht des Gerichts begegneten sich der 25-Jährige und die beiden Männer in einer Tübinger Gaststätte. Alle drei hatten zu dem Zeitpunkt schon reichlich Alkohol getrunken. Fehlende Erinnerungen erschwerten die Ermittlungen.

Das Gericht geht davon aus, dass es vor der Gaststätte zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen sein muss. Womöglich, weil sich das Opfer vom Angeklagten provoziert fühlte, als der das Jugendwort »Digga« verwendete. Es sei laut geworden, ein Türsteher habe die Männer mehrfach zur Ruhe ermahnt, schilderte der Richter.

Der Angeklagte soll den beiden Männern gefolgt sein, als sie das Lokal verließen. Demnach schlug er erst den Begleiter des Mannes nieder und versetzte dem anderen Mann dann zwei Stiche in den Bauch und einen in den Schulterbereich. Das Opfer wurde dabei lebensgefährlich verletzt und musste notoperiert werden. Auf seiner Flucht erzählte der 25-Jährige demnach mehreren Fremden, dass er gerade zwei Menschen abgestochen habe.

Aufmerksamkeit hatte der Fall erregt, weil die Staatsanwaltschaft das Mordmerkmal der Mordlust erfüllt sah. Dabei argumentierte sie unter anderem mit einem Video, dass der Angeklagte demnach Wochen zuvor aufgenommen hatte.

Entstanden sei die Aufnahme dem Gericht zufolge, als jemand versuchte in das Haus, in dem der Angeklagte lebte, einzubrechen. Der Angeklagte sei allein zu Hause gewesen und habe bedauert, dass die Einbrecher nicht erfolgreich waren. Denn er habe schon immer mal jemanden legal töten wollen, sagt der 25-Jährige der Staatsanwältin zufolge in dem Video.

Das Gericht konnte zwar nicht ausschließen, dass der 25-Jährige aus Mordlust gehandelt habe. Aber es lasse sich auch nicht mit Sicherheit sagen, dass die Tötung des Opfers der einzige Zweck der Tat war. So sei das Video zwar »durchaus befremdlich« und ein Indiz, aber reiche nicht aus.

Es reiche auch nicht aus, dass der Angeklagte nach der Tat den Eindruck erweckt habe, mit der Tat zu prahlen. Immer wieder war in der Verhandlung die Rede davon, dass der 25-Jährige dem Opfer mit einem Lächeln gegenübergetreten sei und auch Zeugen mit einem Lächeln von der Tat erzählt habe. »Letztlich bestehen zu viele Unsicherheiten, um ein Mordmerkmal der Mordlust annehmen zu können«, sagte der Vorsitzende Richter.

Der Angeklagte nutzte das letzte Wort um Reue auszudrücken. Das Opfer habe ihm »richtig leidgetan« im Gerichtssaal. Und er sagte: »Ich bin nicht so ein Mensch, der einfach grundlos versucht, Menschen umzubringen.« Den Angriff hatte er vor dem letzten Verhandlungstag über eine Erklärung seiner Verteidigerin eingeräumt, die Tötungsabsicht aber bestritten.

Das Urteil blieb deutlich unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Diese hatte eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren beantragt. Die beiden Geschädigten hatten sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen. Die Nebenklage hatte jeweils eine Freiheitsstrafe von neun Jahren gefordert. Die Verteidigung hatte eine Strafe zwischen drei Jahren und drei Jahren und sechs Monaten beantragt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

© dpa-infocom, dpa:230519-99-752240/6