Logo
Aktuell Natur

Heimat für Wölfe auf der Schwäbischen Alb?

Brandenburg, Groß Schönebeck: Zwei Wölfe sind in einem Gehege in einem Wildpark zu sehen. Das Jahr 2023 war ein wichtiges in der
Zwei Wölfe sind in einem Gehege in einem Wildpark zu sehen. Das Jahr 2023 war ein wichtiges in der Entwicklung des Wolfbestands in Baden-Württemberg. Foto: Pleul/dpa
Zwei Wölfe sind in einem Gehege in einem Wildpark zu sehen. Das Jahr 2023 war ein wichtiges in der Entwicklung des Wolfbestands in Baden-Württemberg.
Foto: Pleul/dpa

STUTTGART. Da streifen sie durchs Unterholz, irgendwo im Schwarzwald, ganz sicher in den Wäldern rund um den Schluchsee, vielleicht zieht derzeit aber auch der eine oder andere Wolf durch den Odenwald, über die Alb und durch den Schwäbisch-Fränkischen Wald. Baden-Württemberg hat sich zwar auch im zu Ende gehenden Jahr nicht zum ausgeprägten Wolfsland entwickelt. Dennoch geht mit Blick auf den Bestand ein besonderes Jahr zu Ende - und es könnte ein weiteres außergewöhnliches werden.

Was war denn so besonders an diesem Jahr?

Baden-Württemberg ist bisher nur ein Durchgangsland für Wölfe gewesen. Weniger als eine Handvoll Tiere sind bislang im Südwesten geblieben und gelten deshalb als sesshaft. Bis zum Februar sprachen die Experten stets von nur drei sesshaften Wölfen, also von Tieren, deren Spuren über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten verfolgt werden können. Dann heizte im Februar in der sogenannten Ranzzeit die Sichtung des ersten Wolfspaares, aufgenommen in der Schluchsee-Region, die Debatte an. Dabei war schon seit vielen Jahren damit gerechnet worden, dass nicht nur männliche Wölfe zuwandern und es Rudel geben könnte - also Paare mit mindestens einem Nachwuchs.

»Baden-Württemberg ist ein Wolfsland geworden«, sagt Markus Rösler, Sprecher für Naturschutz der Grünen im Landtag, mit Blick zurück aufs Jahr. Etwas vorsichtiger formuliert es die Artenschutzreferentin des Naturschutzbunds (Nabu) Deutschland, Alexandra Ickes. »Baden-Württemberg war ein Durchgangsland und das wird auch zunächst so bleiben. Aber es wird zunehmend attraktiver für Wölfe, um sesshaft zu werden.«

Wie hat sich das erste Rudel entwickelt?

Eine Fotofalle erbrachte im Sommer den Beweis, dass nicht nur ein Paar, sondern auch sein Nachwuchs durch den Schwarzwald streift. Der männliche Wolfswelpe wird mittlerweile nach Einschätzung von Rösler ab nächstem Frühjahr im geschlechtsreifen Alter sein und sich dann bald von den Eltern trennen. Ein weiterer Welpe ist nicht bekannt - ungewöhnlich sei das, sagt Rösler. Denn ein normaler Wurf bestehe eigentlich im Durchschnitt aus vier Welpen.

Ist das Rudel für die jüngsten Risse verantwortlich?

So scheint es, ja. Tiere aus dem Rudel vom Schluchsee (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) - in der Fachsprache der Rüde GW1129m und die Fähe 2407f sowie der Welpe GW3699m - haben wiederholt rund um den Schluchsee zugeschlagen. Es sei aber aufgrund der ungenauen Datenlage dieses Mal schwierig zu klären, welches Tier für den Tod von zwei Rindern verantwortlich sei, sagte ein Sprecher des verantwortlichen Umweltministeriums. Daher sei das ganze Rudel angezählt worden. Schlagen sie bald in dieser Region erneut trotz Herdenschutzes zu, könnte sie zum Abschuss freigegeben werden. Das ermöglicht das Bundesnaturschutzgesetz. Einen pauschalen Maßstab dafür gibt es nicht, jeder Fall wird einzeln bewertet.

Was passiert, wenn nächstes Jahr ausgerechnet die Fähe zum Abschuss freigeben wird?

Würde der Fähe erneut ein Riss trotz Herdenschutzes nachgewiesen und das Tier erlegt werden, wäre Baden-Württemberg sein Rudel gleich wieder los - und damit auch seinen Status als Wolfsland. Denn die Fähe ist derzeit der einzige weibliche Wolf in Baden-Württemberg. Baden-Württemberg wäre im kommenden Jahr wieder eine reine Männer-Wolfs-WG - angewiesen auf eine einwandernde Fähe. Allerdings könnte die wichtige Bedeutung der Fähe als einzigem reproduzierenden weiblichen Wolf auch ein Grund sein, sie leben zu lassen.

Könnte es kommendes Jahr auch andere Wölfe in Baden-Württemberg treffen?

Die CDU nimmt einen weiteren Wolf im Schwarzwald ins Visier. Nach wiederholten Rissen im Raum Forbach (Kreis Rastatt) fordern die CDU-Landtagsabgeordneten Raimund Haser und Klaus Burger in einem Brief an Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) den Abschuss dieses Wolfes. Die Angriffe führten zu nicht hinnehmbaren Schäden bei Landwirten und Schäfern und bedrohten deren Existenz, argumentieren die Politiker.

Wird die Zahl der Wölfe und Rudel im nächsten Jahr steigen?

Das hängt zum einen vom Schicksal der Fähe ab, zum anderen vom weiteren Wanderverhalten der weiblichen Wölfe im deutlich stärker besetzten Alpen- und im norddeutschen Raum.

Könnte im kommenden Jahr auch die Schwäbische Alb zur Wolfsregion werden?

Durchaus, ja. Gesichtet wurde bereits mehrfach ein Wolf, es gab mehrere Nachweise im Landkreis Esslingen und in Römerstein (Kreis Reutlingen). »Wir erwarten, dass sich Wölfe auch in anderen Regionen des Landes niederlassen«, sagt der Wolf-Experte der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA), Felix Böcker, noch vor kurzem.

Schäfer und Rinderzüchter sind wenig begeistert, oder?

Das stimmt. Denn der Wolf hat keine natürlichen Feinde und steht europaweit als streng geschützte Art unter Naturschutz. Ein Abschuss ist verboten, es sei denn, die eigentlich Menschen gegenüber scheuen Wölfe überwinden qualifizierten Herdenschutz wie zuletzt in der Schluchsee-Region, sind krank, verletzt oder aggressiv gegenüber Menschen.

Schäfer und Viehhalter verweisen seit langem auf zunehmende Probleme. Allein in Deutschland ist die Zahl der Wolfsübergriffe auf Nutztiere nach einem Bericht im vergangenen Jahr deutlich auf mehr als 1000 Fälle gestiegen. Dabei wurden mehr als 4000 Nutztiere getötet oder verletzt. »Herdenschutzmaßnahmen schützen nicht immer zu 100 Prozent«, sagte die Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands, Anette Wohlfarth, wiederholt. »Wenn sich der Wolf weiter ausbreitet, ist das eine existenzielle Bedrohung für die Weidetierhaltung.«

Warum sind die Menschen, wie es scheint, dennoch so begeistert von der Rückkehr des Wolfs?

Während sich Landwirte Sorgen um ihre Weidetiere machen, begrüßt jeder Zweite die Rückkehr der einst nahezu ausgestorbenen Wölfe nach Baden-Württemberg. Nur jeder Fünfte ist dagegen, wie eine Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Tageszeitungen im Südwesten ergeben hat. Nach Einschätzung Röslers steht der Wolf wie der Schwarzstorch, der Kranich und der Biber für Arten, die zurückkehren. »Sie sind für viele Menschen ein Zeichen dafür, dass es im Naturschutz positive Signale gibt«, sagte er. (dpa)