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»Heißer Herbst«? Verfassungsschutz warnt vor Protesten

Steht dem Land ein »heißer Herbst« mit landesweiten Protesten und Gewalt bevor? Der Verfassungsschutz und Innenminister Strobl machen sich Sorgen, andere auch. Aber ist die Stimmung wirklich vergleichbar mit der Zeit der Corona-Proteste?

Thomas Strobl
Thomas Strobl, Innenminister von Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat
Thomas Strobl, Innenminister von Baden-Württemberg.
Foto: Marijan Murat

Droht Baden-Württemberg angesichts der Energiekrise und hoher Inflation eine weitere Protestwelle wutentbrannter Menschen im Herbst? Die Krisenstimmung könnte sich nach Einschätzung des Landesverfassungsschutzes in teils gewaltsamen Demonstrationen entladen. Höhere Energiepreise, aber auch die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und eine weitere Corona-Welle könnten zu einer steigenden Zahl von politischen Versammlungen führen, sagte ein Sprecher des baden-württembergischen Landesamtes der dpa.

»Dass es im Zuge des möglichen Protestgeschehens auch zu einer gewalttätigen Eskalation mit extremistischer Beteiligung kommt, kann nicht ausgeschlossen werden«, fügte er hinzu. Auch Politiker und Journalisten könnten dabei in den Fokus geraten.

Dem Verfassungsschutz lägen bereits Erkenntnisse vor, wonach vor allem Rechtsextremisten und Reichsbürger das mögliche Protestgeschehen instrumentalisieren oder sogar anfachen wollen. Nach neuen Themen suche derzeit auch die Szene der sogenannten Delegitimierer des Staates - so beschreibt der Verfassungsschutz ein Spektrum, das bei den Corona-Protesten sichtbar geworden ist und sich laut Behörde nicht eindeutig links oder rechts verorten lässt. Unklar sei, ob »Querdenker« wie bei den Corona-Protesten erneut eine dominierende Rolle im Südwesten einnehmen würden.

Auch Innenminister Thomas Strobl zeigte sich skeptisch, ob eventuelle Proteste im Herbst friedlich bleiben würden. »In dem Moment, in dem das Ganze umschlägt in eine allgemeine Staats- und Demokratiefeindlichkeit, wird es hochgefährlich«, warnte der CDU-Politiker in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Der Konstanzer Protestforscher Sebastian Koos sieht aber einen Unterschied zur aufgewühlten Corona-Stimmung. Die Debatte um das Impfen habe viele persönlich berührt. »Das heißt aber nicht, dass sie sich auch wegen einer wirtschaftlichen Benachteiligung mobilisieren lassen würden«, sagte Koos der dpa.

Außerdem sei es nach den bisherigen Erfahrungen schwer, Menschen in prekären Lebenssituationen zu mobilisieren. »Die meisten müssen einfach gucken, wie sie über die Runden kommen.« Ein Risiko sieht Koos dennoch: »Gelingt es der Politik nicht, die wirtschaftliche Entwicklung in den Griff zu bekommen und den Menschen die Angst zu nehmen, kann ich mir vorstellen, dass die erwartbaren großen Mobilisierungsversuche auch erfolgreich sein könnten«, sagte er.

Strobl schließt eine brisante Lage dennoch nicht aus: »Es fehlt mir nicht die Fantasie für solche Entwicklungen«, sagte er. »Wir müssen Lehren aus der deutschen Geschichte ziehen und frühzeitig gegensteuern, dass nicht Links- und Rechtsextremisten unsere Straßen beherrschen.«

Auch der zunehmende Antisemitismus im Land könne durch die Krisenstimmung weitere Anhänger erhalten, warnte er. Solche Krisen seien immer das große Feld für Verschwörungsideologen, sagte der Innenminister. Sie arbeiteten oft mit antisemitischen Narrativen. »Das ist der Klassiker. Es wird ein Schuldiger gesucht«, sagte Strobl. »Und damals wie heute suchen sich diese Menschen in unerträglicher Weise unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger als Sündenböcke heraus.«

Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet allerdings derzeit nicht mit großen gewalttätigen Protesten. »Aktuell haben wir keine Anzeichen für gewalttätige Massenkrawalle«, sagte sein Präsident Thomas Haldenwang der »Bild am Sonntag«. »Ich rechne nicht mit Protesten, die gewaltsamer sind als zu Hochzeiten der Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen.«

Zu Montagsdemos gegen die Gasumlage und hohe Energiepreise hatte unter anderem der Ostbeauftragte der Linksfraktion im Bundestag, Sören Pellmann, aufgerufen. Der Begriff hat seit der friedlichen Revolution in der DDR und den Leipziger Montagsdemos gegen die SED hohe symbolische Bedeutung. Die Rechte mobilisiert getrennt von der Linken ebenfalls gegen die Energiepolitik der Regierung - und auch sie nutzt bisweilen das Motto Montagsdemonstration.

»Wohnungen werden nicht dadurch warm, dass man jetzt Panik anheizt«, kritisierte hingegen der SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Die Menschen verhielten sich größtenteils ausgesprochen vernünftig. »Es gibt also gar keinen Grund, Eskalationen herbeizureden.« Die Ampel-Koalition im Bund versuche seit Wochen und Monaten, Szenarien zu verhindern, in denen Leute in Panik gerieten. »Gerade deswegen sorgen wir jetzt vor, gerade deswegen gibt es Entlastungspakete.« Aber auch die Solidargemeinschaft sei nun gefordert, sagte er weiter.

© dpa-infocom, dpa:220828-99-540492/3