Die Südwest-Grünen wollen ihre Wählerbasis im ländlichen Raum verbreitern und damit die Weichen für die Zeit nach Winfried Kretschmann stellen. Der Abgang des auch bei konservativen Wählern beliebten Ministerpräsidenten ist absehbar: Deswegen will sich die Ökopartei stärker der Fläche widmen und so die Voraussetzungen dafür schaffen, auch nach dem Abschied des Erfolgsgaranten an der Macht bleiben zu können.
Der Landesparteitag beschloss am Wochenende in Donaueschingen mit großer Mehrheit einen Leitantrag des Landesvorstands zur Stärkung der ländlichen Räume. Die Grünen möchten damit auch den Koalitionspartner CDU als »Baden-Württemberg-Partei« dauerhaft ablösen. Die Partei will zudem verhindern, dass der Klimaschutz in der Energiekrise unter die Räder kommt. Um mehr Geld dafür lockermachen zu können, soll die Schuldenbremse im Bund reformiert werden. Auch im Land soll die Koalition Wege finden, mehr ins Klima zu investieren.
Kretschmann rechnet mit CDU und SPD ab: »Leichtsinnig und naiv«
Der 74-jährige Kretschmann, der bei der Landtagswahl 2026 nicht mehr antreten will, gab beim Parteitag mit einer umjubelten Rede den Ton an. Er rechnete vor 400 Zuhörern mit CDU und SPD ab, die eine Mitverantwortung für die Krise hätten. »Jetzt fallen uns die strategischen Fehlentscheidungen der letzten Bundesregierungen auf die Füße.« Union und SPD hätten Deutschland von russischem Öl, Kohle und Gas abhängig gemacht und den Ausbau erneuerbarer Energien hart ausgebremst. Das sei »leichtsinnig und naiv« gewesen. »Dafür bezahlen wir jetzt die Zeche.« Dagegen leiste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Umsteuern großartige Arbeit. Von den möglichen Nachfolgern Kretschmanns hatte nur Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (56) einen größeren Auftritt.
Solaranlage auf jedes Dach bis 2035
Um unabhängiger von Gas, Öl und Kohle zu werden, will Kretschmann bald eine Solarpflicht auch für ältere Gebäude einführen. »Jedes geeignete Haus im Land soll ein kleines Sonnenkraftwerk werden.« Er hoffe, dass die grün-schwarze Koalition im nächsten Jahr so weit sei, die generelle Pflicht zu beschließen. Er wisse, dass das nicht von heute auf morgen gehe - auch weil die Krise viele Haushalte finanziell stark belaste. Aber bis 2035 sei das machbar und zumutbar. Bei den jüngsten Verhandlungen über das Klimaschutzgesetz war diese Pflicht zunächst auf Druck der CDU ausgeklammert worden.
Mehr Flächen für Windkraft und Photovoltaik
Die Grünen machten der grün-schwarzen Koalition am Sonntag Druck in Sachen Klima. In dem mit großer Mehrheit beschlossenen Antrag des Vorstands heißt es: »Wir wollen das Flächenziel für die erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg erhöhen. Künftig sollen mindestens zwei Prozent der Fläche für Windkraft und mindestens ein Prozent für Photovoltaik ausgewiesen werden.« Die Koalition hat bisher das Ziel ausgegeben, bis 2025 mindestens zwei Prozent der Landesfläche für Freiflächen-Photovoltaik und Windkraft zu reservieren.
Auch in ihrem Leitantrag zu den ländlichen Räumen spielt der Kampf gegen die Klimakrise eine große Rolle: »Die künftige Stromerzeugung und Energiebereitstellung aus Biomasse, Wind, Sonne, Wasser oder Erdwärme wird die ländlichen Räume durch Arbeitsplätze und zusätzliche Wertschöpfung weiter stärken«, heißt es in dem Papier.
Es gab aber in der Aussprache auch vereinzelt Kritik an dem eher vagen Antrag. Es bleibe unklar, wie die Partei auf dem Land stärker werden solle. Die Landeschefs Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller haben sich zu ihrem Amtsantritt Ende vergangenen Jahres vorgenommen, die Grünen auf dem Land stärker zu verankern und so die Basis der Partei zu verbreitern. Erstes Zwischenziel ist die Kommunalwahl 2024.
CDU hat mehr als dreimal so viele Mitglieder wie die Grünen
Zum Vergleich: Die Grünen haben nach eigenen Angaben 16 666 Mitglieder im Südwesten. Das Durchschnittsalter lag Ende 2021 bei 48,4 Jahren, der Frauenanteil bei 41,4 Prozent. Die CDU hatte Ende 2021 noch 55 800 Mitglieder - Tendenz sinkend. Auch die Union, die bis 2011 fast sechs Jahrzehnte den Regierungschef gestellt hatte, versteht sich als Baden-Württemberg-Partei. Das Durchschnittsalter der CDU-Mitglieder lag zuletzt bei 61 Jahren, der Frauenanteil bei knapp einem Viertel.
Streit in homöopathischen Dosen
Bei dem Parteitreffen gab es nur wenig Streit. Jedoch kritisierte die Grüne Jugend die Abschiebepraxis der Landes hart und rügte auch Kretschmann. »Die katastrophale Asylpolitik der Landesregierung zerstört nicht nur Existenzen, sie schwächt auch den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft«, sagte Aya Krkoutli, Co-Chefin der grünen Jugendorganisation. »Das Problem liegt nicht nur bei der CDU.« An Kretschmanns Adresse sagte die junge Grüne, man erwarte von ihm »eine klare Ansage an den Koalitionspartner«.
Auch der Streit um Homöopathie flammte in Donaueschingen kurz wieder auf. Anlass war die Entscheidung der Vertreterversammlung der Landesärztekammer, die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung streichen zu wollen. Dorothea Kaufmann aus dem Kreisverband Heidelberg kritisierte, dass Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) dieses Ansinnen als falsch bezeichnet hatte. »Wir sollten uns alle auf die Seite der Wissenschaft stellen«, forderte die promovierte Molekularbiologin Kaufmann und nannte Homöopathie »Scharlatanerie«.
Lucha sagte, es werde eine rein formale Prüfung geben. »Wir brauchen da keinen Kulturkampf, wir bleiben nüchtern.« Luchas Ministerium hat die Rechtsaufsicht über die Ärztekammer und muss die Änderungssatzung prüfen. Der Minister sagte, es gehe ihm darum, dass alle, die das wollten, Zugang zur alternativen Medizin hätten. Gegner argumentieren, es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit etwa von Globuli, also homöopathischen Kügelchen.
Zu den Anträgen zum Landesparteitag
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