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Grüne stellen Bedingungen für Koalition: Machtprobe bei CDU

Grün-Schwarz oder Ampel? Die Grünen formulieren nach ihrem Triumph Bedingungen für ein Bündnis. In der CDU gibt es Ärger über die Neuaufstellung. Die FDP wollen sich als zweiter Wahlsieger belohnen. Die SPD hofft. Nur Kretschmann lässt sich nicht blicken.

Oliver Hildenbrand
Oliver Hildenbrand, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild
Oliver Hildenbrand, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

STUTTGART. Nach ihrem historischen Sieg bei der Landtagswahl haben die Grüne Bedingungen für eine Koalition aufgestellt. »Es geht um Klimaschutz, Innovationen und Zusammenhalt. Aber auch um Vertrauen und Verlässlichkeit«, sagte Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand der Deutschen Presse-Agentur nach einer virtuellen Sitzung des Landesvorstands am Montag. Am Nachmittag sollten die Einladungen für die Sondierungsgespräche verschickt werden. Es gehe dabei nach Stärke der anderen Parteien. Am Mittwoch spreche man zuerst mit dem derzeitigen Koalitionspartner CDU, am Freitag dann nacheinander mit SPD und Grünen. »Wir gehen ohne Vorfestlegungen und Automatismen in die Gespräche«, stellte Hildenbrand klar. Sie dienten auch dazu zu sehen, ob die Chemie stimmt. Es brauche eine »Vertrauenskultur«.

Bei der CDU gab es die erste Machtprobe um eine wichtige Personalie. CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart verwarf nach massivem Druck aus den eigenen Reihen seine Pläne, sich an diesem Montag für weitere drei Jahre im Amt bestätigen zu lassen. Eine Gruppe von Abgeordneten wollte per Entschließungsantrag erreichen, dass die Neuwahl zunächst nur so lange gelten soll, bis entschieden ist, ob es zu einer Neuauflage der grün-schwarzen Koalition kommt. Reinhart schlug dann zu Beginn der ersten Fraktionssitzung nach der schweren Niederlage der CDU bei der Landtagswahl vom Sonntag selbst vor, die neue Amtszeit des Vorsitzenden zu begrenzen. Reinhart sagte der dpa, diese Lösung habe er schon am Morgen im Fraktionsvorstand eingebracht. »Ich brauche ein breites Mandat für die Verhandlungen mit den Grünen.« Die stark geschwächte CDU will unbedingt vermeiden, neben der AfD in der Opposition zu landen.

FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke setzt dagegen voll auf eine Ampel. »Nun gibt es zwei Optionen: Weiter so mit Grün-Schwarz oder zu neuen Ufern mit einer Reformkoalition.« Nach den Gremiensitzungen sagte er am Montag: »Wir haben deutlich gemacht, dass die Zeiten der Lager vorbei sind.« Außerdem gebe es zwei Wahlsieger: »Die Grünen und den Ministerpräsidenten und die FDP, alle anderen haben verloren.«

Bei seinem Werben um eine Ampel erhielt Rülke Unterstützung von ungewohnter Seite. Die Grüne Jugend im Südwesten erklärte, »die Plan- und Visionslosigkeit der CDU« disqualifiziere sie als erneuter Koalitionspartner. »Wir wollen eine progressive Regierung«, sagte Sarah Heim, Sprecherin der Grünen Jugend. Dafür brauche es Mehrheiten jenseits der CDU.

ERGEBNIS: Nach Auszählung aller Wahlkreise sah es so aus: Die Grünen schaffen 32,6 Prozent - das beste Ergebnis auf Landes- und Bundesebene jemals. Das ist ein Plus von 2,3 Punkten im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren. Der bisherige Koalitionspartner CDU fällt um 2,9 Punkte auf 24,1 Prozent - das ist das schlechteste Ergebnis in seiner ehemaligen Hochburg. Die SPD unterbietet ihr ohnehin schon schwaches Ergebnis von 2016 nochmal und landet bei 11,0 Prozent, ein Minus von 1,7 Punkten. Immerhin schaffen es die Sozialdemokraten damit noch auf Rang drei. Knapp dahinter liegt die erstarkte FDP mit 10,5 Prozent (plus 2,2 Punkte). Größter Verlierer ist die AfD, die 336 000 Stimmen einbüßt und nur noch 9,7 Prozent erreicht - 5,4 Prozent minus. Und zuletzt: Die Linke macht im Südwesten einfach keinen Stich und verpasst erneut mit 3,6 Prozent den Einzug in den Landtag.

KOALITIONEN: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte am Sonntagabend erklärt, er wolle eine »verlässliche und stabile Koalition«. Rechnerisch wären das Grün-Schwarz und Ampel gleichermaßen. Die Grünen hatten der CDU zuletzt vorgehalten, beim Klimaschutz ein »Klotz am Bein« gewesen zu sein. Ob das aber mit der FDP in einer Ampel besser würde, ist nicht gesagt. Klar ist nur: Sowohl die CDU als auch SPD und FDP wollen unbedingt in die Regierung. Das dürfte den Grünen bei ihren inhaltlichen Forderungen in die Karten spielen.

CDU-Landeschef Thomas Strobl soll mit seinen guten Kontakten zu Kretschmann dafür sorgen, dass der Wiedereinzug in die Regierung gelingt. Gegen Grün-Schwarz spricht, dass Grüne, SPD und FDP im Bund gerne zeigen würden, dass es auch eine Mehrheit jenseits der Union geben kann. »Die Chancen stehen 50:50«, sagt ein führender Grünen-Mann. Und Frank Brettschneider, Politikexperte von der Uni Stuttgart-Hohenheim, meint: »Die CDU müsste mehr zulassen beim Klimaschutz und auch bei den Ministerposten.«

Eine Neuauflage von Grün-Rot ist knapp nicht möglich. Rechnerisch könnte damit die neu gegründete Klimaliste Grünen und SPD eine Regierungsbildung vermasselt haben. Die neue Partei kam auf 0,9 Prozent der Stimmen. Dazu sagte Hildenbrand: »Das kann man so sehen, ist aber auch ein bisschen Zahlenspielerei.« Wichtig sei, dass deutlich geworden sei, dass die Grünen die Klimaschutz-Partei seien. »Die Bäume sind für die Klimaliste nicht in den Himmel gewachsen.«

CDU-PERSONAL: Die einzige Leidtragende des Debakels ist erstmal Susanne Eisenmann. Die 56 Jahre alte Spitzenkandidatin übernahm die Verantwortung und wird bei der Suche nach einer Koalition mit den Grünen keine Rolle spielen. Ob die Kultusministerin im Falle von Grün-Schwarz nochmal ins Kabinett darf, ist eher unsicher. Sie gehört nach ihrer krachenden Niederlage in ihrem Wahlkreis in Stuttgart gegen Verkehrsminister Winfried Hermann nicht mal dem nächsten Landtag an. Da geht es Innenminister Strobl auch nicht viel besser, er unterlag in Heilbronn klar der Grünen Susanne Bay und verpasste ebenfalls den Einzug ins Parlament. Da der 60-Jährige aber die letzte Hoffnung der CDU ist, die Grünen von einer Fortsetzung von Grün-Schwarz zu überzeugen, bleibt er erstmal ungeschoren.

Wer auf lange Sicht Fraktionschef wird, ist noch nicht geklärt. Nach dem Kompromiss am Montagmittag soll der Gesamtvorstand erst im Mai oder Juni gewählt werden, wenn klar ist, ob die CDU regiert oder opponiert. Der Posten des Fraktionsvorsitzenden wäre im Fall eines Rauswurfs aus der Regierung einer der wenigen prestigeträchtigen und besser dotierten Jobs. Reinhart sieht sich ähnlich wie Strobl als Brückenbauer hin zu den Grünen. Allerdings hat der 64-Jährige in seinem Wahlkreis Main-Tauber schwere Verluste hinnehmen müssen. Er holte zwar das Direktmandat, büßte aber 5,8 Punkte ein und landete bei 29,6 Prozent.

Als denkbarer Gegenkandidat wurde bis zuletzt Generalsekretär Manuel Hagel genannt, der aber zumindest am Montag noch nicht antrat. Der 32-Jährige ist in Ehingen mit 35,9 Prozent landesweiter Stimmenkönig der CDU geworden. Hagel stünde für einen Generationswechsel an der Spitze der Fraktion. Nach Ansicht von Ex-Ministerpräsidenten Günther Oettinger muss die CDU jünger und weiblicher werden, um an alte Erfolge im Südwesten anknüpfen zu können. »Kretschmann war und ist das Zugpferd der Grünen. Aber zu glauben, das Problem wäre erledigt, wenn Kretschmann geht, wäre leichtsinnig und falsch«, sagte er der »Stuttgarter Zeitung« und den »Stuttgarter Nachrichten«.

HOCHBURGEN: Das beste Ergebnis überhaupt holte die Grüne Muhterem Aras im Wahlkreis Stuttgart I. Die Landtagspräsidentin schaffte 44,8 Prozent. Silber errang die Grüne Nese Erikli in Konstanz mit 42,1 Prozent, und Bronze ging an Wissenschaftsministerin Theresia Bauer in Heidelberg mit 41,7 Prozent. Kretschmann gewann in Nürtingen mit immerhin noch 38,8 Prozent. Der SPD-Abgeordnete Stefan Fulst-Blei holte zwar in Mannheim I das beste Ergebnis (21,7 Prozent) aller Genossen, aber gewonnen haben auch diesen Wahlkreis die Grünen. SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch gelang in Heidenheim mit 20,2 Prozent der Einzug ins Parlament.

Die AfD, die 2016 in Mannheim und Pforzheim siegreich war, hatte diesmal das Nachsehen. Bernd Grimmer schaffte in Pforzheim aber mit 15,8 Prozent das beste Ergebnis für die Rechtspopulisten. Der Student Felix Herkens von den Grünen nahm ihm das Direktmandat ab. Bei den Liberalen war Erik Schweikert im Wahlkreis Enz mit 16,9 Prozent am erfolgreichsten - noch vor FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, der in Pforzheim 16,1 Prozent hinlegte. (dpa)